Was mache ich nur als nächstes?
Das ist eine häufig gestellte Frage in der Mediation. Sie wird nicht nur von Anfängern gestellt, sondern immer dann, wenn die Mediation ins Stocken gerät. Wo suchen Sie nach der Antwort?
Die naheliegende Antwort findet sich nicht in den Parteien oder im Mediator. Sie sollte sich aus der Mediation selbst ergeben. Voraussetzung dafür ist, dass der zugrunde liegende Mechanismus die funktionalen Elemente der Mediation und ihr logisches Zusammenspiel offenbart. Die Parameter erschließen sich aus ihrer wissenschaftlichen Herleitung. Sie erlaubt eine konkrete Antwort auf die Frage was als nächstes zu tun ist und mehr als nur eine Ahnung.
Die wissenschaftlichen Grundlagen der Mediation
Wer sich nach dem wissenschaftlichen Hintergrund und mehr noch nach einer Theorie der Mediation erkundigt, wird schnell auf das Harvard-Konzept verwiesen. Das Harvard-Konzept hat allerdings wenig mit der Mediation zu tun. Es ist eine Studie über das sachgerechte Verhandeln schlechthin. Obwohl seine Prinzipien in die Mediation eingeflossen sind, setzt sich die Studie nicht explizit mit ihr auseinander. Sie kann deshalb nicht herangezogen werden, um die eingangs gestellte Frage zu beantworten und um die einzelnen Schritte und Phänomene der Mediation nachvollziehbar zu begründen. Sie erklärt nicht einmal, warum die Mediation, je nach dem zugrunde liegenden Mediationsverständnis, mehr ist als ein sachgerechtes Verhandeln und warum die Parteien plötzlich, wie aus heiterem Himmel, in die Lage versetzt werden, selbst eine beeindruckende Lösung zu finden. Sie erklärt auch nicht, was zu tun ist, um dies zu ermöglichen oder was konkret dazu beiträgt, dass sich der Konflikt schließlich auflöst und nicht lediglich den Streit beendet.[1]
Es gibt deshalb weitere Theorien, auf die sich die Mediation bezieht. Erwähnt werden beispielsweise das Konsensprinzip, die Eskalationstheorie, die Konflikttheorie, die Kommunikationstheorie, die Systemtheorie, die Verhandlungstheorie und viele andere. Allerdings handelt es sich auch bei diesen Herleitungen um keine Erklärungsversuche der Mediation, auch wenn die Theorien fragmentarisch in der Lage sind, einzelne, in der Mediation vorkommende Phänomene zu belegen.
Auf der Suche nach einer wissenschaftlichen Herleitung, die das Zusammenspiel der Einflüsse in der Mediation nicht nur partiell erklärt, sondern ihren inneren Zusammenhang umfassend begreift, ist die kognitive Mediationstheorie der bisher einzige Ansatz, mit dem sich die Mediation in ihrer Funktionalität und Wirkung folgerichtig beschreiben lässt. Die kognitive Mediationstheorie basiert auf dem Konzept der integrierten Mediation. Sie begreift die Mediation als einen Erkenntnisprozess, der darauf angewiesen ist, dass die Parteien selbst eine Lösung finden, mit der sie den Konflikt vollständig und im Einvernehmen beilegen können.
Die Mediation als Erkenntnisprozess
Dass die Parteien eine Lösung zu finden haben, ist kein Definitionsmerkmal der Mediation. Die Anforderung lässt sich jedoch aus dem Prinzip der Lösungsoffenheit herleiten. Sie ergibt ein Charaktermerkmal, das aus der Mediation einen Suchprozess macht. Dass es in der Mediation darum geht eine Lösung zu finden, ist das erste Mediationsaxiom mit weitreichenden Konsequenzen für die Prozessgestaltung.
Die nächste logische Konsequenz führt in das zweite Axiom. Es besagt, dass die Suche als ein Erkenntnisprozessausgelegt sein muss. Es geht ja nicht darum, einen Gegenstand zu finden, sondern eine Idee, wie sich der Konflikt oder das Problem lösen lässt. Wenn die Parteien selbst die Lösung finden sollen, benötigen sie Einsichten und Erkenntnisse, die sie dazu befähigen. Weil die Erkenntnislast bei ihnen liegt, sind sie die Protagonisten, die denken müssen und nicht der Mediator. Die korrespondierende Aufgabe des Mediators besteht lediglich noch darin, den Parteien bei der Kognition zu helfen, sodass sie in die Lage versetzt werden, die zur Lösung führenden Einsichten zu gewinnen.
Die Möglichkeiten, die dem Mediator bei der Unterstützung der Parteien zur Verfügung stehen, wirken auf den ersten Blick eher homöopathisch. Er darf nicht entscheiden. Er kann nur eingeschränkt beraten und obendrein soll er nicht einmal Lösungen vorgeben. Was also kann er konkret dazu beitragen, damit Parteien, die zu Beginn der Mediation keine Ahnung hatten, wie der Konflikt zu lösen ist, am Ende genau dazu in der Lage sind?
Die Antwort erschließt sich aus einem Perspektivwechsel. Wenn statt nach dem zielgerichteten Handeln des Mediators nach der Wirkungsweise der Mediation gefragt wird, offenbart sich der Weg, der mehr oder weniger zwangsläufig in die Lösung führt. Dann wird deutlich, dass nicht der Mediator die Lösung herbeiführt, sondern die Mediation! Die passende Frage des Mediators lautet deshalb nicht: „Was tue ich nur als nächstes?“. Sie muss stattdessen lauten: „Was passiert hier gerade?“. Die auf den Prozess verschobene Verantwortlichkeit führt zu der Anschlussfrage: „Wie ordnet sich das, was hier passiert, in die Mediation ein?“. Die Antwort auf diese Frage ergibt den nächsten Handlungsschritt.
Eine wirkungsvolle Entscheidungshilfe kann sich allerdings nur dann aus der Prozesshaftigkeit ergeben, wenn sich die Mediation aus einer Abfolge von ebenso einschlägigen wie kleinschrittigen Aktionen zusammensetzt. Das ist zumindest auf den ersten Blick nicht erkennbar. Jeder Mediator wird davon ausgehen, dass die Mediation nicht algorithmisch nachzubilden ist. Sie ist so komplex, dass sie sich eher wie ein Schachspiel verhält, wo nach dem ersten Zug bereits unzählig viele Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten aufkommen. Nicht jede Option führt zum Ziel. Wie sollte sich aus einer derart obskuren Vielfalt ein nächster Handlungsschritt ergeben? Möglich ist zweifellos eine Orientierung. Sie stellt sich her, indem die Mediation als eine Metawelt verstanden wird, die alles sieht und weiß. Es ist eine Welt, die sich in einer Matrix abbildet. Weil die Matrix selbst nicht handeln kann, bedient sie sich der Hilfe eines Mediators als ihr Werkzeug. Das Werkzeug funktioniert, wenn sich der Mediator in der Metawelt auskennt und dazu beiträgt, dass ihre Abläufe korrekt zusammengeführt werden.
Die kognitive Mediationstheorie
Die kognitive Mediationstheorie belegt im Detail, welche Anforderungen an die Metawelt der Mediation zu stellen sind. Sie offenbart darüber hinaus den Plan, wie die Gedanken zusammenzuführen sind, damit die Mediation auch in schwierigen und unlösbar erscheinenden Fällen konstruktive Lösungen herbeiführt. Die Theorie verwertet alle wissenschaftlichen Erkenntnisse, die sich mit Entscheidungs- und Informationsverarbeitungsprozessen in Organismen beschäftigen. Sie ist transdisziplinär ausgelegt. Durch ihren Praxisbezug bildet sie einen hermeneutischen Zirkel, der den mediativen Entscheidungsprozess nicht nur lenkt und inspiriert, sondern auch zur Schärfung des Mediationsverständnisses beiträgt.
Die kognitive Mediationstheorie geht davon aus, dass die Mediation eine Verstehensvermittlung ist.[2] Diese Annahme ergibt das dritte Mediationsaxiom. Sie unterscheidet sich von der Schlichtung, die den gedanklichen Schwerpunkt auf die Lösung lenkt und deshalb lediglich eine Lösungsvermittlung darstellen kann. Die genaue Abgrenzung folgt einer Verfahrenssystematik, die auf den jeweiligen Verfahrenscharakter abstellt.[3] Die systematische Erfassung der Mediationen räumt ein, dass es auch andere Konzepte geben darf. Deshalb wird die kognitive Mediationstheorie zwar als umfassende Theorie zur Mediation gesehen. Sie lässt aber trotzdem noch Raum für andere Herleitungen. Im Ergebnis wirkt sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem konfliktbelasteten Verstehensprozess nicht nur auf die Qualität der Mediation und ihr Verständnis aus. Sie ergibt auch eine an Benchmarks zu messende Anleitung, mit der sich die Mediation fach- und sachkorrekt verwirklicht.[4]
Um den Prozess der erkenntnisbasierten Verstehensvermittlung im Konflikt beschreiben zu können und um herauszufinden, was die Mediation wie dazu beitragen kann, dass die Gedanken der Parteien selbst in schwierigen Situationen die gemeinsame Suche nach einer konstruktiven und nachhaltigen Lösung ermöglichen, muss sich die Mediationstheorie zunächst mit der Frage auseinandersetzen, was die Parteien überhaupt daran hindert, die lösungsführenden Gedanken selbst zu entwickeln. Wenn die Hindernisse identifiziert werden können, die der Lösung im Wege stehen, wird der Gedankengang erkennbar, den die Mediation zu gestalten hat. Auch wird es möglich, die grundlegende Strategie zu bestimmen, die mit der Mediation verfolgt wird. Es geht darum, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, damit die Parteien die Lösung selbst herbeiführen können.
[1] Sie haben die Möglichkeit, Ihre Meinung und Fragen zu diesem Beitrag auf https://www.wiki-to-yes.org/article1170-Die-kognitive-Mediationstheorie einzubringen.
[2] Siehe https://wiki-to-yes.org/Vermitteln
[3] Siehe die Aufstellung in https://www.wiki-to-yes.org/Systematik
[4] Darauf ist jedoch an anderer Stelle einzugehen.
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