Die Unvision der gerichtsinternen Mediation
Die gerichtsverbundene Mediation ist zweifellos ein Meilenstein in der Mediationsentwicklung. Sie ist aber auch nicht mehr. Kurz vor ihrer Etablierung tauchen Fragen auf und Diskussionen. Ist die gerichtsverbundene Mediation ein Freund oder ein Feind der Mediation?
Nicht jeder Mediator bekommt ein gutes Gefühl, wenn von der gerichtsverbundenen Mediation die Rede ist. Wenn der Richter Fälle an die Mediation abgibt, ja, das ist ok. Wenn die Justiz selbst aber Fälle abwickelt, die eigentlich dem Mediator vorbehalten sein sollten, das hört sich dann nicht mehr so gut an. Viele Mediatoren sorgen sich, die Justiz könnte Ihnen ihren Marktanteil streitig machen. Die Sorge ist berechtigt.
Die Justiz ist schon jetzt der weitaus größte Anbieter von Mediationen . Die Mediatoren haben keine Wahl. Sie müssen in den sauren Apfel beißen. Sie müssen sich auf den Wettbewerb mit der Justiz einstellen. Allerdings wissen die Mediatoren auch, dass die Justiz kein wirklicher Gegner ist, denn so wie sie Marktanteile vorenthält, so öffnet sie den Markt zugleich. Sie ist ein Förderer der Mediation und bewirkt selektiv sogar deren Etablierung . Den Mediatoren bleibt also keine andere Wahl, als die gerichtsinterne Mediation zu akzeptieren. Ein fahrender Zug lässt sich nicht anhalten . Die Hoffnung bleibt auf die erwartete Öffnung des Marktes, wovon dann auch die Mediatoren profitieren.
Die Einführung der gerichtsinternen Mediation wird nicht nur von den Mediatoren skeptisch betrachtet. Auch manche Juristen fragen nach der rechtlichen Grundlage . Es ist eine durchaus berechtigte Frage, warum die Mediation eine staatliche Leistung werden soll, obwohl sie als freie Dienstleistung bereits vorgehalten wird. Auf der Suche nach einer Antwort hat die Politik eine Expertengruppe eingesetzt, die sich mit den hintergründigen Fragen beschäftigt . Die Expertengruppe muss sich auch mit der Frage befassen, ob es wirklich gewollt ist, dass sich die Mediation – auch unabhängig von der Frage der Einführung der gerichtsinternen Mediation – mehr und mehr zu einer justiziellen Dienstleistung entwickelt. Es gab einmal die Idee, die Mediation könnte ein autonomes Verfahren autonomer Bürger sein, die ihre Konflikte selbstständig lösen.
Die Justiz selbst sieht den wettbewerblichen Aspekt ihres Engagements für die Mediation nicht so gerne. Sie versucht eine divergierende Interessenlage zu verwirklichen. Bislang sind die Interessen der Justizverwaltung mit denen der Richter, der Politik und nicht zuletzt der Klienten selbst noch nicht in Einklang gebracht, ganz zu schweigen von den Interessen der Rechtsanwälte, der Mediatoren und der Verbände. Die Lösung wird sich ergeben, wo Alle das gleiche Interesse verfolgen. Bis dahin verweist die aktuelle Gemengelage auf ein verdecktes Dilemma. Das Dilemma wirkt im Problemfeld der gerichtsinternen Mediation. Um seine Hintergründe zu erläutern, präzisiere ich zunächst die Einteilung der Verfahren im Bereich der gerichtsverbundenen Mediation. In einem weiteren Schritt werden konzeptuelle Widersprüchlichkeiten in die Vision einer kommunikativen Justiz aufgelöst.
Die Formen der gerichtsverbundenen Mediation
Ausgangspunkt der Darstellung ist die Mediation als ein eigenständiges, außergerichtliches Verfahren. Von dort gibt es eine stufenförmige Einbeziehung der Mediation. Sie lässt sich bis hin zu dem konventionellen Gerichtsverfahren wie folgt abgrenzen:
- Reine Mediation: Ein neutraler Dritter, der keine Befugnis hat, den Fall zu entscheiden, unterstützt die Parteien dabei, für sich selbst eine interessengerechte Lösung für ihren Konflikt zu finden
- Gerichtsnahe Mediation: Der erkennende Richter unterbricht das Gerichtsverfahren, um den Parteien die Mediation durch einen freien Mediator (kostenpflichtig) zu ermöglichen.
- Gerichtsinterne Mediation: Der erkennende Richter unterbricht das Gerichtsverfahren, um den Parteien die Mediation durch einen nicht entscheidungsbefugten Richtermediator kostenfrei zu ermöglichen. #
- Integrierte Mediation und interprofessionelle Zusammenarbeit: Der erkennende Richter wendet selbst Mediation an.
- Reines Gerichtsverfahren: Ein neutraler Dritter entscheidet den Konflikt rein nach juristischen Kriterien.
In der Lehre werden die Verfahren formal gegeneinander abgegrenzt. Die Unterscheidungskriterien ergeben sich aus der Rolle des Dritten und dessen Befugnissen. Die formale Trennung erlaubt es, die Mediation auch bei der gerichtsnahen und der gerichtsinternen Mediation noch immer als ein eigenständiges Verfahren zu behandeln. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie ausschließlich im Annex eines Gerichtsverfahrens zustande kommt. Abgesehen von den merkantilen Interessen, auf die ich später noch eingehe, verfolgt die verfahrenstechnische Formalisierung einen weniger bekannten aber umso nützlicheren, strategischen Zweck. Es geht darum, eine Kooperation der Parteien zu ermöglichen.
Der strategische Widerspruch
Strategisch betrachtet ist die Mediation ein Verfahren, in dem ausschließlich eine Kooperation zielführend ist. Sie passt in das Konzept eines Positivsummenspiels. Jede Mediation kann durch eine anhaltende Konfrontation zum Scheitern gebracht werden. Ihr Scheitern bedeutet strategisch den „Rückfall“ in ein Nullsummenspiel. Das Nullsummenspiel ergibt ein strategisches Setting, das im Gerichtsverfahren zur Anwendung kommt. Auf den ersten Blick scheint es so, als kämen die beiden grundlegenden Strategien der Konfrontation und der Kooperation nur schwer miteinander aus. Sie orientieren sich an dem systemischen Grundkonzept. Dieses Grundkonzept bildet den übergeordneten, strategischen Rahmen in dem sie aufkommen. Es sind die außerhalb des Verfahrens liegenden Bedingungen, unter denen die Parteien ihren Streit abzuwickeln haben. Gibt dieser Rahmen selbst ein Nullsummenspiel vor, führt jede kooperative Initiative innerhalb des Verfahrens wieder zu einem Angriffs- oder zu einem Schwächeindiz. Eine Kooperation mag nicht wirklich aufkommen, wenn die Umwelt, einschließlich der Justiz selbst, von den Parteien erwartet, dass sie sich gegeneinander durchsetzen müssen, anstatt miteinander nach Lösungen zu suchen. Die Kooperation erfordert deshalb, dass derartige Irritationen nach Möglichkeit ausschließt. Am besten wäre ein Setting, das keine andere Strategie als die Kooperation mehr als sinnvoll zur Verfügung stellt. Genau das geschieht in der Mediation. Schon die Tatsache, dass der Dritte keine Entscheidungsbefugnis hat, hilft den Parteien ihren Streit zu reduzieren. Angriffe verlieren ihren sinn die Parteien werden entlastet. Sie müssen den Dritten nicht länger von der Richtigkeit ihres und der Falschheit des gegnerischen Vortrages überzeugen. Sie müssen keine Angst haben, alles könne gegen sie verwendet werden. Die Konfrontation beginnt sich zu verlieren .
So wie der formale Verfahrenswechsel Erleichterungen verschafft, so stellt er die Parteien vor neue Probleme. Die größte Hürde ist der Verfahrenswechsel selbst. Er ist mit einem Wechsel der Konfliktstrategie gleich zu setzen. Die Parteien können sich auf den damit verbundenen Wechsel von der Konfrontation zur Kooperation einlassen, wenn er für den Konflikt in besonderer Weise veranlasst ist. Sie müssen also erkennen, dass sie „auf dem falschen Weg“ sind. Die Anlässe für diese Erkenntnis sind individuell. Sie ergeben sich stets aus dem Konfliktverhalten der Parteien aber niemals aus irgendwelchen Verfahrensvorschriften oder Verpflichtungen. Gibt es zwischen den Parteien einen Konflikt wird er sich von all den theoretischen Überlegungen nur wenig beeindrucken lassen. Der Konflikt hat seine eigene Dynamik. Wen die Verfahren damit zu Recht kommen wollen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich dieser Erkenntnis zu stellen und den Konfliktverlauf in ihre Planung miteinzubeziehen.
Aus der Metaperspektive betrachtet deckt erst die Summe der Verfahren den Bedarf nach einer dem Konfliktverlauf angepassten Konflikthilfe. Für sich und einzeln betrachtet genügen sie den Anforderungen einer Konflikthilfe jeweils nur eingeschränkt. Erst ihre Kombination vervollständigt das Bild. Isoliert betrachtet ist es verblüffender Weise nur das Gerichtsverfahren, das eine dem Konflikt anpassbare, strategische Flexibilität bereitzustellen in der Lage ist . Für die Richter ist es eine noch recht unbewusst geübte Kompetenz, die mit dem Blick auf die hinter den gerichtlich geltend gemachten Positionen liegenden Interessen mehr und mehr in den Fokus gerät. Die Modelle in Cochem und Altenkirchen haben gezeigt, dass und wie der Richter die Funktion eines Weichenstellers im Konfliktgeschehen konstruktiv einsetzt.
Der merkantile Widerspruch
Offensichtlich werden die strategischen Anforderungen an eine Konflikthilfe von politischen und wirtschaftlichen Interessen überlagert. Ein offizielles Bekenntnis zur politischen Zielsetzung ergibt die EU Direktive . Sie führt aus: „Ziel dieser Richtlinie ist es, den Zugang zur alternativen Streitbeilegung zu erleichtern und die gütliche Beilegung von Streitigkeiten zu fördern, indem zur Nutzung der Mediation angehalten und für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsverfahren gesorgt wird“.
Die politische Zielsetzung fokussiert in erster Linie die Fälle der reinen Mediation. Sie verpflichtet den Gesetzgeber. Weder die Einrichtung der Mediation noch die Forderung nach einer gesteigerten Nachfrage fallen somit prima facie in den Aufgabenbereich der Justiz. allerdings wissen die Politiker inzwischen längst, dass die Justiz ein wesentlicher Multiplikator für die Einführung der Mediation ist. Ihr politischer Auftrag lässt sich deshalb nur erfüllen, wenn die Justiz in ein Mediationskonzept einbezogen wird. Der naheliegende Gedanke war deshalb, dass die Gerichte ihre Fälle an die Mediation abgeben. Es klingt nach einer Win-win-Situation. Für die Mediatoren, weil dadurch eine Nachfrage ausgelöst wird, für die Justiz, weil sie Fälle durch Abgabe erledigt. Unglücklicher Weise und anders als in den angelsächsischen Ländern hat sich die gerichtsnahe Mediation bis heute in Deutschland nicht wirklich durchsetzen können.
Eine der Ursachen für die Zurückhaltung bei der Nachfrage nach der gerichtsnahen Mediation wird in dem Abgabeverhalten des erkennenden Richters gesehen. Längst wurde erkannt, dass der abgebende Richter mehr über die Mediation wissen muss, als die schlichte Information, dass es sich um ein Verfahren handele, mit dem sich bessere Ergebnisse erzielen ließen als er, der Richter, jemals zu erzielen in der Lage sei. So geringschätzend wenigstens mag es in den Ohren eines Richters geklungen haben, wenn er in einer 2-stündigen Veranstaltung über die Mediation informiert wurde. Tatsächlich wird der erkennende Richter ein Verfahren nur dann in die Mediation vermitteln, wenn er die Mediation nicht als eine konkurrierende Alternative, sondern als eine sinnvolle Ergänzung seiner Arbeit am Fall und somit auch als einen Teil seiner Verfahrensstrategie begreift. Eine derartige Motivation erfordert zweifellos ein tieferes Verständnis der Mediation und ihrer Wirkungsweise. Vielleicht fühlten sich die Richter deshalb besonders motiviert, die Mediation selbst zu erlernen, weil sie endlich nachvollziehen wollten, warum es sich um ein besseres Verfahren handeln soll. Wahrscheinlich haben sie sich gerade deshalb so für die Mediation interessiert, weil sie es sich nicht sagen lassen wollten, das gerechte, juristische Ergebnis sei minderwertiger als das der Mediation. Wie dem auch sei. Heute jedenfalls steht die Kompetenz der Mediation auch im Gericht zur Verfügung. Nachdem die Richter lernen mussten, dass die Mediation nur in einem eigenständigen Verfahren möglich sei, war der Grundstein gelegt, dass sie nunmehr selbst die Mediation nach allen Regeln der Kunst durchführen. Das Modell der gerichtsinternen Mediation war somit auf den Weg gebracht.
Auf den ersten Blick sieht auch das Modell der gerichtsinternen Mediation nach einer win-win Situation aus. Die Richter optimieren ihre Arbeit, indem sie den Blick auf die Konfliktlösung richten, parallel dazu wird die Mediation ermöglicht. Am bekanntesten wurde das Projekt in Niedersachsen. Es war am niederländischen Vorbild ausgerichtet und sah erstmalig in Deutschland eine Mediation durch einen nicht erkennenden Richter vor.
Mit der gerichtsinternen Mediation begibt sich die Mediation noch weiter in die Hände der Justiz. Der Richter handelt nicht mehr in seiner richterlichen Funktion aber als ein Mediator. Die von ihm durchgeführte Mediation ist als ein eigenständiges Verfahren an den Maßstäben der reinen Mediation zu messen. Von außen betrachtet führt die Einbeziehung der Mediation zu einer Aufwertung der forensischen Dienstleistung. Bemerkenswert ist allerdings, dass diese Aufwertung nicht durch eine Leistungsverbesserung im Erkenntnisverfahren sondern durch die Einbeziehung eines weiteren Verfahrens herbeigeführt wird, also nur einen sehr geringen Prozentsatz der Gerichtsverfahren betrifft. Bemerkenswert ist auch, dass es sich um ein Verfahren handelt, das sich zugleich als eine freie Dienstleistung auf dem Markt etablieren soll und alle Merkmale eines Produktes in sich trägt. Inzwischen ist es ein Produkt, das auch in der Justiz einen Platz findet und genau da beginnen die Probleme. Von der anfangs erhofften win-win Situation ist jetzt nicht mehr die Rede. Jetzt stehen kompetitive Aspekte im Vordergrund. Die richterliche Initiative führt zu einem Anstieg an gerichtsinternen Mediationen. Sie schießt also gegebenenfalls über das politische Ziel der Kosteneinsparung hinaus und mündet in dem, was ich als das Justizdilemma bezeichne.
Das Justizdilemma beschreibt die Widersprüchlichkeit, die sich aus dem Auftrag ergibt, einerseits Effizienz und Allzuständigkeit vorzuhalten und andererseits eine Reduktion der Fallzahlen herbeizuführen. Es ist die Quadratur des Kreises. Warum, das verdeutlicht die Sprache des Marktes am besten. In diese Sprache übertragen bedeutet die Reduktion der Fallzahlen zugleich die Reduktion der Nachfrage. Stellen Sie sich nun bitte einen Unternehmer vor, der eine geringere Nachfrage nach seinen Produkten anstrebt. Es klingt irreal. Täte er es jedoch, ergäben sich zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, er verteuert das Produkt und macht daraus ein Luxusprodukt. Der Justiz wäre eine solche Strategie allerdings schon wegen der Rechtsgewährungsgarantie untersagt. Die zweite Möglichkeit ist, der Unternehmer bietet ein denkbar schlechtes Produkt an, das auch noch als solches bewirbt. Wer würde ein solches Produkt haben wollen. Der Rückgang der Nachfrage wäre gewiss. Umgekehrt kurbelt er die Nachfrage an, wenn es sich herumspricht, dass sein Produkt das Beste sei. Es ist nicht erwiesen, dass diese Gesetze der Nachfrage in gleicher Weise auch auf ein staatliches Handeln zutreffen. Es ist aber auch nicht auszuschließen. Unabhängig davon hat die Justiz keine andere Wahl, als sich für ihre Optimierung zu entscheiden. Verwirrung kommt allerdings auf, weil die Justiz mit der gerichtsinternen Mediation ein Produkt anbietet, das außerhalb eines Gerichtsverfahrens nur teuer zu erstehen ist. Spätestens jetzt setzt sie Maßstäbe, die den Wettbewerb in Bewegung bringen. Das Argument, der Wettbewerb werde nicht beeinflusst, weil sich die Parteien ja schon für den Gang an das Gericht entschieden hätten und weil die gerichtsinterne Mediation nur zusammen mit einem Gerichtsverfahren möglich wird, mag auf den Fall zutreffen, nicht aber auf die Entwicklung. Der Anwalt wird bei seiner Beratung den Mandanten darauf hinweisen müssen, dass dieser mit dem Gang zum Gericht mehrere Verfahren der Konflikthilfe konsumieren könne, ohne dass daraus Mehrkosten entstünden. Es wäre wohl ein Haftpflichtfall wenn der Rechtsanwalt diese Information verschweigt. Umgekehrt kennen wir das Phänomen, dass Beratungen dann umso eher angenommen werden, je präsenter sie im Termin sind . Die Justiz hat also zweifellos einen Marktvorteil. Er ergibt sich aus ihrer Nähe zum Fall, der Gebührenfrage und nach meiner Erfahrung nach am Intensivsten aus den Möglichkeiten der richterlichen Einflussnahme im Erkenntnisverfahren.
Wie löst sich das Dilemma?
Eigentlich löst sich das Justizdilemma ganz von selbst. Die ersten Gerichte unterbinden bereits die gerichtsinterne Mediation. In den Niederlanden ist sie inzwischen verboten. Wegen der Lobby, so wurde mir bedeutet. Wahrscheinlich ist es dort wie hier nur das Zusammenspiel der Kräfte und die sich dahinter verbergende Dynamik, der auch die gerichtsinterne Mediation erlegen ist. Ich will versuchen, einige der wichtigsten Einflüsse zu lokalisieren. Insgesamt unterscheide ich zehn dynamische Kräfte, die auf die Entwicklung der gerichtsinternen Mediation Einfluss nehmen.
- Die 1. dynamische Kraft wirkt unter dem Kostendruck.
Die Kostenfrage betrifft ein wesentliches Interesse der Justiz. Die gerichtsinterne Mediation trägt sicher zur Kosteneinsparung bei. Die Erfolgsquoten sind gut. Ein Teil der Rechtsmittel wird zurückgehen ebenso wie es möglich sein wird, Folgesachen zu verhindern. Die Evaluation der Nachhaltigkeit, also der Frage inwieweit die gerichtsinterne Meditation in der Lage ist, Konflikte nachhaltig beizulegen, ist äußerst schwierig zu gestalten. In dem Koblenzer Projekt zeigte sich dass der Aufwand des Ausfüllens der Fragebögen für die Richter, Rechtsanwälte und Parteien so groß war, dass keine ausreichende Stichprobengröße für eine wissenschaftlich tragbare Schlussfolgerung zustande gekommen war. Andere Erbungen belegen zwar den statistischen Erfolg der gerichtsinternen Mediation, indem sie die aufzeigen wie viele Fälle wie erfolgreich abgewickelt wurden. Sie treffen indes keine Aussage über die Korrelation zu den dadurch verhinderten Gerichtsverfahren .
Eine Reduktion der Kosten ergibt sich nicht nur aus der Idee der Nachhaltigkeit. Es gibt eine Berechnung, die davon ausgeht, dass eine Mediation im Gericht, die drei Stunden durchschnittlich nicht übersteigt, stets zu einer geringeren Arbeitsbelastung für den Richter und mithin für das Justizsystem führt, als das Abfertigen eines Urteils. Damit die Einführung der gerichtsinternen Mediation mit dem Kostenargument gerechtfertigt werden kann, gibt es in einigen Gerichtsbezirken bereits die Anweisung, dass eine gerichtsinterne Mediation nicht länger dauern soll (darf) als eben diese drei Stunden. Abgesehen davon, dass eine solche Anweisung lediglich einen statistischen Durchschnitt betrifft, mit dem Grundsatz der Freiwilligkeit kollidiert und die Unabhängigkeit des Mediators ignoriert, erkennen die Richtermediatoren, dass dieses Zeitkontingent nicht immer ausreicht, um eine vollwertige Mediation durchzuführen.
Dennoch liegt es auf der Hand, dass die gerichtsinterne Mediation den Staatshaushalt nur dann entlastet, wenn die Richtermediation in zeitlichen und personellen Grenzen gehalten wird. Die EU Richtlinie würde auf den Kopf gestellt werden, wenn die Einführung der gerichtsinternen Mediation dazu führt, dass zusätzliche Richterstellen für die Richtermediation geschaffen werden, um die Nachfrage nach der gerichtsinterner Mediation zu decken ohne dass damit ein Abbau an Richterstellen im übrigen verbunden ist. Von einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Mediation und Gerichtsverfahren kann dann keine Rede mehr sein. Genau das ist aber zu befürchten, nachdem die gerichtsinterne Mediation eingeführt wurde. Spätestens dann werden die Richtermediatoren versuchen ihre Leistungen zu optimieren. Ihre Forderung nach erweiterten Freistellungen für die gerichtsinterne Mediation ist schon jetzt zu hören. - Die 2. dynamische Kraft ergibt der Wettbewerb.
Dass die Justiz den Markt der Mediation beeinflusst beweist die Erfahrung in den angelsächsischen Ländern. Hier wurde die Nachfrage nach Mediation gefördert, weil die Parteien andere Wege der Konfliktlösung benötigten als eine unberechenbare und teure Justiz. Auch in Deutschland ist es eine Erfahrung der Mediatoren, dass ihre Nachfrage wesentlich aus der Enttäuschung oder der Angst vor Eskalationen begünstigt wird. Mein Eindruck als Mediator ist es, dass sich der Mediant weniger für das Produkt der Mediation als gegen die Gefahr einer Eskalation entscheidet . Das bedeutet, er entscheidet sich nicht für die Mediation wohl aber gegen die Justiz. Die Justiz macht ihm die Entscheidung für eine Mediation umso schwerer, indem sie sich den Streitparteien indirekt sogar empfiehlt: „Versuchen Sie doch mal die Mediation. Wenn es nicht klappt, können Sie ja immer noch das Gericht anrufen!“ So oder ähnlich lautete der Hinweis auf einigen justiziellen Web-Seiten. Eine bedeutungsvolle Aussage und zugleich ein treffendes Argument für die gerichtsinterne Mediation. Warum auch nicht? Es gibt spektakuläre Erfolge welche die Erwartung rechtfertigen, dass die Justiz mit der gerichtsinternen Mediation tatsächlich ihre Aktenrückstände aufholen kann. Das Interesse ist legitim. Wettbewerblich anstößig wäre es lediglich, wenn die Justiz ihre zweifellos vorhandenen Wettbewerbsvorteile zu Lasten des Marktes ausspielte. Das wäre bei dem aktuellen Verständnis von Mediation als eigenständiges Verfahren beispielsweise der Fall, wenn der erkennende Richter ein in die Mediation abzugebendes Verfahren explizit seinem Kollegen, dem Richtermediator zuschreibt, obwohl andere Angebote vorhanden sind oder wenn das Justizangebot im Vergleich zur Konkurrenz derart vorteilhaft ist, dass dem Kunden im Prinzip keine andere Wahl bleibt als sich für dieses Angebot zu entscheiden. Besonders verwerflich ist es, wenn dieser Wettbewerbsvorteil aus Steuergeldern finanziert wird. Die Justiz denkt darüber nach, ob und wie sie ihre Wettbewerbsvorteile kompensieren könnte. Zwei unterschiedliche Denkansätze werden diskutiert:
Der erste Ansatz mündet in die Annahme, der Marktvorteil könne dadurch ausgeglichen werden, dass die gerichtsinterne Mediation als eine qualitativ schlechtere Mediation angesehen werde. Argumentiert wird, dass ja auch die Ausbildung der Richtermediatoren geringerwertiger sei . Die Vorstellung geht an der Realität vorbei. Es gibt inzwischen genügend Richter, die eine Vollausbildung in Mediation nachweisen können. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, würden die Richter ihre Leistungen mit der Zeit zu optimieren versuchen. Dabei kommt es ihnen entgegen, dass sie über ein nahezu unbegrenztes Reservoir an Fällen verfügen. Im Zweifel verfügen sie also über weitaus mehr Mediationserfahrung als manch ein gut ausgebildeter Mediator. Die Ausbildung ist deshalb kein valides Unterscheidungskriterium zwischen einer gerichtsinternen und einer reinen Mediation. Die Vorstellung, die Justiz könne ihren Wettbewerbsvorteil durch eine minderwertigere Mediation ausgleichen ist schließlich auch aus der unternehmerischen Sicht nicht nachvollziehbar. Hier hat sie die Interessen des Investors, um den Steuerzahler einmal so zu benennen, zu achten. Warum sollte ein Unternehmen ein Produkt einführen, das von vorne herein schlechter ist als das des Mitbewerbers? Soll es ein Produkt sein, das am Ende doch niemand gebrauchen kann? Soll ein solches Vorhaben die Investitionskosten rechtfertigen?
Der zweite Ansatz mündet in die Idee, für die gerichtsinterne Mediation Gebühren zu erheben. Jetzt gerät die gerichtsinterne Mediation noch mehr in die Nähe einer gesondert zu identifizierenden und zu bewertenden Dienstleistung. Um ihre Wettbewerbsvorteile zu kompensierten wird sie eine Gebühr ansetzen, die den Honoraren des Marktes entspricht. In dem Fall ist ihr Angebot nur für reiche Parteien erreichbar. Wenn die hohen Gebühren über Prozesskostenhilfe abgedeckt werden, besteht wieder ein Wettbewerbsvorteil, solange für die freie Mediation keine Prozesskostenhilfe gewährt wird.
Lediglich in einem Marktsegment ist ein gerichtliches Mediationsangebot denkbar, ohne dass es zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs kommt. Betroffen sind die Fälle, in denen die frei angebotene Mediation keine Honorare abwirft. Ein Beispiel dafür sind die small business cases, die im vereinigten Königreich von so genannten Clerks (Rechtspflegern) abgewickelt werden . In diesen Fällen lässt sich nur schwer ein preiswertes Verhältnis von Honorar und Aufwand darstellen. Wenn die Justiz jetzt eine Mediation anbietet, geschieht dies im Interesse der Daseinsvorsorge für eine kooperative Streitbewältigung. In Deutschland ist der Gedanke nicht spruchreif weil die Mediation dann gerichtsseitig völlig losgelöst von anhängigen Verfahren anzubieten wäre. - Die 3. dynamische Kraft betrifft das Problem der Ausbildung
Die Idee, die gerichtsinterne Mediation könne im wettbewerblichen Interesse als eine qualitativ minderwertigere Mediation darzustellen sein, scheitert an den Fortbildungsmöglichkeiten und den Erfahrungen der Richter. Egal auf welchem Level die gerichtsinterne Mediation angesiedelt wird, sie wird sich weiterentwickeln und perfektionieren. Die praktischen Anwendungen der neuen Kompetenz zeigen sich auch dann, wenn der Richter nicht als Mediator tätig wird, an seiner Verhandlungsführung. Wie würde ein Richter entscheiden, wenn er die Wahl hätte, einerseits einen Kompromissvergleich und andererseits einen Konsensvergleich herbeizuführen? Der Kompromiss wäre schneller und kostengünstiger zu erreichen. Der Konsens wäre nachhaltiger. Die Antwort ist spekulativ. Sie ließe sich über Karriereanreize steuern. Aktuell halten die Karriereanreize der Justiz den Richter eher davon ab einen Konsensvergleich herbeizuführen. Ungeachtet dessen werden viele Richter alle nur erdenklichen Vorkehrungen treffen, um die Parteien in die Lage zu versetzen, einen Konsens zu finden. Der Grund ist einfach ihr Wunsch, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Juristisch gibt es keinen Unterschied zwischen Kompromiss und Konsens. Für den Juristen ist beides ein Vergleich. Vielen Juristen fehlt deshalb das Bewusstsein für diese Differenzierung. Wen wundert es also, wenn die Juristen behaupten, dass sie doch schon seit jeher mediative Ergebnisse erzielten. Die Kenntnis über die Unterschiede zwischen Kompromiss und Konsens und die jeweils darauf abzielende Verfahrensweise ergibt sich aus der Mediationsausbildung. Für den Richter besser noch aus der Ausbildung zur integrierten Mediation , welche die Spezifika einer streitigen Umgebung im Gericht systemisch einzubeziehen vermag. In keinem Fall ist es nur der Richtermediator, der das Wissen und die Fertigkeiten der Mediation einsetzen sollte, wenn nachhaltige Lösungen angestrebt werden. Schließlich sind diese Kenntnisse auch dann von Nutzen, wenn der Richter das Verfahren in die Mediation abzugeben hat. Längst haben die Richter ebenso wie die Mediatoren erfahren müssen, dass der stereotype Hinweis auf eine gütliche Einigung oder eine Mediation zu Beginn der Gerichtsverhandlung oftmals nicht ausreicht, um die Mediation wirksam zu empfehlen. Der Gesetzgeber will das Problem mit einer Informationspflicht lösen, die außerhalb des Verfahrens statt findet. Wieder wird der Richter aus der Migrationsverantwortung entlassen. Aus der Sicht der Parteien käme die zu Beginn der Verhandlung aufgebrachte und inzwischen gesetzlich nahe gelegte Frage nach der Mediation als Verfahrensalternative dem unterschwelligen Hinweis gleich, die Parteien seien von ihren Parteivertretern in ein falsches Verfahren gelockt worden. Eine Zustimmung ohne Gesichtsverlust ist deshalb nur möglich, nachdem eine mündliche Verhandlung neue Aspekte aufbringt, die den Verfahrenswechsel in eine Mediation einerseits rechtfertigen und die den Strategiewechsel im Konflikt andererseits nahelegen. Die interne Mediation kommt den Parteien und den Parteivertretern insoweit entgegen, als sie die Gefahr eines Gesichtsverlustes verringert. Sie ist noch im Gericht ansässig und für den Laien nicht als ein völlig anderes Verfahren erkennbar. Wenigstens nicht, solange es keine Kosten auslöst. Der Vorschlag, eine gerichtsinterne Mediation durchzuführen, lässt sich als ein Experiment verstehen, auf das sich die Parteien einlassen können. Trotz dieser Erleichterung benötigen die Parteien noch immer einer strategischen Zuführung zur Kooperationsbereitschaft. Ein in Mediation erfahrener Richter kann das Gespräch in diese Richtung steuern. Er weiß, dass der Verfahrenswechsel zugleich einen Strategiewechsel darstellt und dass er den Grund dafür liefern muss, dass sich die Parteien auf einen solchen Strategiewechsel einlassen können. Wenn die Parteien dann in die Kooperation wechseln hat er es in seiner Hand ob er das Verfahren zugunsten einer Mediation unterbricht oder nicht. Er wird bemerken, dass die Abgabe des Verfahrens in die Mediation nicht die einzige Möglichkeit ist, den Strategiewechsel in die Kooperation und damit einen der Mediation nahe oder gleich kommenden Konsensvergleich herbeizuführen. - Die 4. dynamische Kraft ist der Richter selbst
Die Begeisterung der Richter für die Mediation ist der Ausdruck eines im Wandel befindlichen Richterbildes. Anders als etwa in den neuen EU-Beitrittsstaaten kommt es dem Deutschen Richter immer weniger darauf an, die gerichtliche Autorität zu beweisen, als den Parteien konstruktive Lösungshilfen anzubieten. Der deutsche Richter wird kommunikativer. Er sieht wie überflüssig und belanglos manche Streitereien sind. Je mehr er von der Konfliktkommunikation versteht, desto mehr wird er diese Kompetenz auch im Erkenntnisverfahren nutzen , um die Parteien bei der Streitlösung zu unterstützen. Er wird spüren, dass ihm die Suche nach dem Konsens mit einem ungewohnten Feedback versorgt und dass die Parteien mehr und mehr Ihre eigene Konfliktverantwortung wahrnehmen. Dadurch treten Entlastungseffekte ein, die der Richter schon während des Verfahrens wahrnehmen kann. Neben der verringerten Arbeitsbelastung vermitteln die positiven Auswirkungen einer parteiorientierten Kommunikation dem Richter auch eine emotionale Entlastung. Eine Familienrichterin, die in der integrierten Mediation ausgebildet wurde, bekundete dies einmal sehr eindrucksvoll indem sie in einer Supervisionsrunde äußerte: „Ich habe keine Albträume mehr!“ .
Die Adaption der Mediationsmodelle aus den angelsächsischen Ländern ist, soweit sie gerichtsberührt sind, eher problematisch. Der Grund sind die verschiedenen Rechtssysteme. Gerne wird übersehen, dass der deutsche Richter viel mehr Möglichkeiten hat, strategisch auf den Fall einzuwirken, als seine Kollege in angelsächsischen Rechtssystemen, wie z. B. im vereinigten Königreich, in den USA oder in Australien. Strategisch betrachtet verfolgt die Arbeit des deutschen Richters das Ziel, eine Entscheidung nur nach gescheiterten Schlichtungsversuchen vorzunehmen. Der Schlichtungsauftrag entspricht folgt aus § 278 Abs. 1 ZPO, wonach das Gericht in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte hinwirken soll. Wenn die Schlichtung als der Versuch verstanden wird, unter den Parteien einen Konsens zu ermöglichen, kommen mehr oder weniger zwangsläufig Techniken und Verfahrensweisen zur Anwendung, die auch in der Mediation Verwendung finden. Anders als in den angelsächsischen Systemen kann der Richter systematisch schon im schriftlichen Verfahren mit seiner Migrationsarbeit beginnen. Daher macht es sicher einen Unterschied ob er darauf hinarbeitet ein Verfahren abzugeben oder ob es ihm darauf ankommt eine möglichst optimale Streitbeilegung zu erreichen. Der verhandlungskompetente Richter wird derartige Fälle als herausfordernde Abwechslung verstehen. Er würde es als einseitig ansehen, wenn der schlichtende Auftrag entfiele und nur noch formaljuristische Interventionen möglich sind. In dem Fall steht zu befürchten, dass er seine Arbeit nur noch als einseitig wahrnimmt. # - Die 5. dynamische Kraft betrifft die personelle Entwicklung und die Personalpolitik
Eines der Konzepte, die mangels Ausbildung noch vorhandene Schwachstelle der richterlichen Zuweisung in die Mediation zu kompensieren, ist die Einrichtung einer so genannten Clearingstelle. Sie soll die Empfehlungen der Mediation administrativ absichern. Damit kommt das Konzept den Richtern entgegen, die sich nicht über Mediation informieren wollen oder gegen dieses kooperative Verfahren eingestellt sind. Das Konzept nähert sich der Idee der Beratungsberatung . Die Beratungsberatung beschreibt eine außerhalb des Gerichts etablierte Einrichtung, die auch in der vor- und nachgerichtlichen Konfliktbewältigung angerufen werden kann. Die Gefahr einer gerichtlichen Clearingstelle besteht darin, dass der Erkenntnisrichter die strategischen Möglichkeiten einer Kooperation aus den Augen verliert. Sein strategisches Potenzial, die Parteien im Sinne einer Migrationsstrategie zu einer Kooperation zu bewegen, wird nicht ausgeschöpft.
Personell wird sich eine Polarisierung ergeben. Es gibt Richter, die als Mediatoren eingesetzt sind. Andere gehen ihrer alltäglichen Arbeit nach. Die Richtermediatoren schwärmen von ihrer Arbeit. Was löst das bei den Kollegen aus? Im besten Fall werden die erkennenden Richter ihre Verhandlungskompetenzen anpassen. Im schlechtesten Fall werden sie sich abgrenzen und die formaljuristische Kommunikation verbessern. Im Idealfall kommt es zu einer Synthese . Die Auswirkungen werden sich bis in die Personalpolitik erstrecken. Wahrscheinlich entwickelt sich um die gerichtsinterne Mediation eine eigene Infrastruktur mit eigenen Qualitäts- und Beförderungskriterien. In jedem Fall werden die „innerbetrieblichen“ Spuren der gerichtsinternen Mediation werden voraussichtlich auch den Erkenntnisrichter anleiten, konfliktbezogener zu denken. - Die 6. dynamische Kraft betrifft die Rechtsanwälte
Noch vor dem Richter sind die Rechtsanwälte der wichtigste Multiplikator für die Mediation. Auch die Rechtsanwälte befinden sich in einem Prozess des Umdenkens. Ihr Interesse an Collaborative Law zeigt, dass der Gladiatoranwalt mehr und mehr der Vergangenheit zugeschrieben wird. Da die Idee des Collaborative Law auf mediative Methodik aufsetzt etabliert sich unter der Rechtsanwaltschaft ebenfalls der Trend die Mediation in ihren beruflichen Kontext zu integrieren und zwar primär ohne Rücksicht auf ein externes Mediationsverfahren. - Die 7. dynamische Kraft betrifft das Problem der Nachfrage
Die Einführung der gerichtsinternen Mediation hat zweifellos den Vorteil dass sie zur Etablierung beiträgt. Indem sich die Justiz dieses Verfahrens bedient zeigt sie dass die Mediation ein ebenbürtiges Verfahren ist, dem man vertrauen kann. Dass sie Marktanteile der reinen Mediation abdeckt steht zu erwarten. Voraussetzung ist jedoch, dass es einen Markt gibt. Aktuell befindet sich der Markt noch eher in einem visionären Stadium. - Die 8. dynamische Kraft betrifft Zufriedenheit der Mediatoren
Solange die Mediatoren die reine Mediation als Ihre Dienstleistung verstehen, sind sie darauf angewiesen, Fälle zu bekommen, in denen sie die Mediation üben. Sie sind eifersüchtig auf die anderen konfliktnahen Berufe. Aus der Sorge, keine ausreichenden Marktanteile zu bekommen, wenden sie sich gehen Initiativen wie etwa die gerichtsinterne Mediation oder auch die integrierte Mediation. Sie übersehen, dass die Modelle der „unreinen“ Mediation durchaus zu mehr Nachfrage nach Mediation führen, weil sie der Wegbereiter in die kooperative Streitbewältigung sind. - Die 9. dynamische Kraft betrifft die Zufriedenheit des Politikers (der Politik)
Den Politikern geht es um messbare Erfolge. Mit der Mediation lassen sich Ergebnisse nachweisen. Die politischen Ergebnisse sind mehr oder weniger griffig, soweit sie die Anzahl der in den Gerichten eingerichteten Räumlichkeiten für Mediation, die Zahl der als Güterichter oder Richtermediatoren ausgewiesenen Richter und gegebenenfalls auch die Zahl der abgegebenen Mediationen betrifft. Ob die Erfolge zu einer Entlastung der Justiz führen bleibt offen. Die Erfolge bleiben fraglich, solange die Mediation statt zu einer Angelegenheit der bürgerlichen Kultur zu einer Angelegenheit der Justiz gemacht werden. Das Thema jedenfalls ist politisch lohnend. Wie das Beispiel Amerika zeigt braucht es wenigstens eine Generation bis sich messbare Auswirkungen zeigen . Das ist in jedem Fall außerhalb der laufenden Legislaturperiode. Der Politiker kann für den wirklichen Erfolg oder Misserfolg also nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden. - Die 10. dynamische Kraft betrifft die Zufriedenheit der Partei
Obwohl es die wichtigste Kraft ist, ist sie eigentlich keine. Sie kommt bei allen konzeptuellen Überlegungen zu kurz. Sie wird sich erst an den Auswirkungen der Politik beweisen, nämlich dann, wenn hinterfragt wird, wie der Klient auf das Angebot reagiert. Die Nachfragebereitschaft für gerichtsinterne Mediation ist groß. Die Frage bleibt, was macht gerichtsinterne Mediation für den Klienten so attraktiv? Wie bereits erwähnt, geht es bei den Parteien weniger um das Verfahren, als um die deeskalierende Hanhabung ihres Problems.
Das Zusammenspiel der Kräfte ergibt hinsichtlich der gerichtsinternen Mediation zwei politische Handlungsoptionen. Die eine unterstützt die Einführung der gerichtsinternen Mediation, die andere versucht sie zu verhindern. Beide wirken sich auf die Zukunft der Mediation aus. Obwohl die gerichtsinterne Mediation in der einen oder anderen Form (Güterichter) bereits ihren Einzug in die Justiz feiert ist ihre Zukunft durchaus noch ungewiss. Trotzdem ist ein zur Vision führender Trend erkennbar.
Die Vision
Den Ausgangspunkt einer Prognose bildet die Zusammenfassung der vorgenanten Überlegungen:
- Im Bezug auf Konflikthilfe liegt eine strategische Flexibilität näher als die formale Abgrenzung.
- Die Justiz erkennt ihre Bedeutung als Weichensteller in Konflikten
- Wegen dieser Bedeutung findet eine wesentliche Konfliktarbeit im Erkenntnisverfahren statt
- Die Justiz ist kein Wettbewerber, obwohl sie den Markt beeinflusst.
Die Zusammenfassung belegt die Spannung, die sich ergibt, wenn sich die Justiz nicht allein um die Rechtsfragen kümmert, sondern sich auch den dahinter liegenden Konflikten in einer etwas professionelleren Weise widmet. Dass die Justiz, wenn sie Nachhaltigkeit erzielen will, die Konfliktarbeit nicht ignorieren kann, bedarf keiner Auseinandersetzung für das Bild einer modernen Justiz. Die Frage ist lediglich, wie sie sich dieser Herausforderung stellt. Die angrenzende und nachfolgende Frage ist dann, wie die Mediation mit dieser Stellung umzugehen vermag. Die gerichtsinterne Mediation ist zweifellos eine Variante von vielen. Sie ist aber keine Vision. Sie repräsentiert bestenfalls eine Entwicklungsphase. Sie ist einer der ersten Annäherungsversuche zur direkten Konfliktarbeit, die vielleicht mehr mit dem sich verändernden richterlichen Selbstverständnis zu tun hat. Sie erfordert eher eine Auseinandersetzung mit Bedeutungsfragen als mit Verfahrensfragen. Die gerichtsinterne Mediation kann nicht das Ziel der Entwicklung sein. Sie erlaubt zwar die Auslagerung von Ressourcen. Das Outsourcing begünstigt jedoch „nur“ das Verfahren, nicht zwingend auch die Justiz. Die Justiz profitiert von den Auslagerungseffekten nur dann, wenn damit eine Zeit- oder Personalersparnis verbunden wird. Hinzu kommt, dass die Einführung der gerichtsinternen Mediation nur selektiv auf einzelne Verfahren wirkt. Dort wo Mediation geübt wird entstehen Kommunikationsoasen. Von ihnen profitieren die Gerichtsverfahren somit nur dann, wenn sich die Parteien mit einer Mediation einverstanden erklären. In den verbleibenden Fällen, also dort wo keine Mediation statt findet, partizipieren die Parteien nicht von der kommunikativen Verbesserung. Die auf eine gerichtsinterne Mediation aufbauende Verbesserung wirkt somit nur eingeschränkt. Wenigstens solange es keine Seiteneffekte gibt. Eine auf dieses Phänomen passende Strategie wäre es, die Seiteneffekte auszunutzen. Statt die Kompetenz der Konfliktkommunikation einzukapseln könnte sie auf das Erkenntnisverfahren ausgedehnt werden indem die dort vorzufindenden Migrationskompetenzen genutzt werden.
Die Vision ergibt sich aus dem daraus folgenden evolutiven Schritt. Er steht in Bezug zu dem was es zu erreichen gilt. Aus der Sicht der Justiz kommt es nicht darauf an, ob es eine gerichtsinterne Mediation gibt oder nicht. Der Auftrag, alternative Streitverfahren einzuführen, richtet sich konsequenterweise auch nicht an die Justiz, sondern an den Gesetzgeber. Die Zielvorgabe der Justiz ist deshalb unverändert, eine effiziente Justiz zu gewährleisten. Gelingt ihr dies, werden die Grenzen zwischen dem Erkenntnisverfahren und der Mediation mehr und mehr verwischen. Die Justiz kommt den Bedürfnissen der Klienten entgegen. Aus deren Sicht sind Flexibilität und Anpassungsfähigkeit wichtige Kriterien eines Verfahrens. Für sie ist es das Wichtigste, angenommen und verstanden zu werden. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit werden somit zum Kennzeichen der Verfahrenseffizienz. Sie sind untrennbar mit einer kompetenten Konfliktkommunikation verbunden und im Erkenntnisverfahren ebenso hilfreich wie in der Mediation. So gesehen verwandelt sich die Vision der effizienten Justiz in eine Vision der kommunikativen Justiz. Die Justiz nimmt ihre Aufgabe als Wegbereiter im Konflikt wahr. Beispiele ergeben neben vielen anderen das Cochemer und das Altenkirchener Modell. Die Bereitschaft zur Konfliktlösungshilfe tritt in den Vordergrund. Alle in Mediation ausgebildeten Richter werden dies erkennen. Sie werden ihre kommunikativen Kompetenzen nicht verlieren auch nicht wenn es die gerichtsinterne Mediation aus welchen Gründen auch immer nicht mehr gibt. Umso mehr werden sie die Kompetenzen der Mediation so weit wie möglich in ihr Gerichtsverfahren integrieren. Die Richter in den Niederlanden haben begonnen diesen Prozess zu explorieren. In Deutschland gab es zuvor bereits ein Projekt in Koblenz das die Auswirkungen einer integrierten Mediation untersuchte. Die Richter haben erkannt, dass die Gerichtsverfahren nach der Einbeziehung mediativer Kompetenzen eine andere Qualität erlangt haben. Es hat sich auch herausgestellt, dass es nicht genügt, mediative Techniken anzuwenden. Vorschläge, wie die Mediation unter den erschwerten Bedingungen eines Gerichtsverfahrens zur Anwendung kommen, ergeben die Erkenntnisse der integrierten Mediation. Die integrierte Mediation hat im Gegensatz zur gerichtsinternen Mediation keinen eigenständigen Produktcharakter. Sie bewirkt „lediglich“ die Kompetenzsteigerung eines vorhandenen Produktes, das nach ihrer Einbeziehung eine neue Qualität erfährt. Die Richter des Koblenzer Justizprojektes haben ohne Ausnahme bestätigt, dass sie nicht mehr „konventionell“ verhandeln wollten . Von der Qualitätssteigerung profitieren nicht nur die Richter, sondern auch die Parteien. Die integriert mediierenden Richter repräsentieren eine Justiz, die zuhören kann. Eine Justiz, die sich vernetzen kann und die nicht die Politik, sondern die Parteien im Fokus hat. Ist es nicht das was wir alle wollen?
Arthur Trossen
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