Folgender Fall wirft die Frage auf nach der richtigen Strategie: Wir, das sind Monika und ich mediieren eine Familiensache in Co-Mediation. Das Paar, nennen wir es Herr und Frau Müller, sind getrennt seit ca 1,5 Jahren. Sie haben 2 Kinder, ein Junge (12) und ein Mädchen (15). Alle Scheidungsfolgen sind bereits geregelt, die Scheidung ist aber noch nicht vollzogen. Offen sind die frage nach Umgang, Aufenthaltsort des Jungen und – wie sich erst im Laufe der Themensammlung herausgestellt hat auch eine wechselseitige Strafanzeige wegen Körperverletzung, eventuelle Schadensersatuzansprüche und die Frage nach der Herausgabe einiger persönlicher Dinge, wo es nicht um die Auswahl der Gegenstände sondern nur um das Herausgaberitual geht.
Beide Parteien sind gebildete, eher verkopfte Menschen. Am Anfang erschien die Mediation deshalb wie ein easy going. Schon in der ersten Session waren die Interssen auf dem Tisch (aber wie sich herausgestllt hatte nicht die Selbstbehauptung). Man gab sich zu, verletzt zu sein und äußerte den dringenden Wunsch nach Anerkennung. Neide wollen eigentlich nur ihre Ruhe haben und sich nicht ständig vom Anderen beleidigen lassen. Der andere Teil sieht die eigenen Angriffe demgegenüber nicht als solche. Er ist ja im Recht während der andere lügt.
Wir Mediatoren haben versucht die Erkenntnis für die eigene Verantwortung am Konflikt zu wecken oder wenigstens die Befreiung vom Urteil des anderen zu erreichen. Wir haben die Techniken des Paraphrasierens, der Spiegelung, des Doppelns, der Erklärung, der Visualisierung und natürlich aller möglichen Fragetechniken angewendet. Markant ist, dass die Parteien intellektuell jeweils gut folgen können. Auf dieser Ebene gibt es auch Zustimmung. Bei der Umsetzung in Akzeptanz oder Verständnis für den anderen scheitern alle zuvorigen Bemühungen. Dann lebt der Konflikt auf und an Kleinigkeiten entsteht ein derart aggresiver Streit, dass die Parteien jeweils schon die Mediation mit der Bemerkung verlassen hatten: “Das muss ich mir nicht bieten lassen” und dann folgen Drohungen.
Um den Teufelskreis zu durchbrechen (bloße Gesperächstechniken führten nicht aus der zirkulären Kommunikation) haben wir uns mit Schuld, Scham und Empörung auseinandergesetzt. Hier das glkeiche Phänomen. Der Streit unter den Parteien eskaliert.
Was ist zu tun?
Stellt einen großen Sack in die Mitte – und jeder Beteiligte darf zehn von ihm beschriftete Karten einwerfen. Keine Themenvorgabe. In der nächsten Sitzung darf jeder ziehen und muß auf die gezogene Karte antworten. Bringt zumindest Bewegung in das Ganze.
Ich bin zufällig gerade eben hier auf der Webseite auf die Ausschlussliste nach Proksch und Balloff/Walter gestoßen und musste spontan an diese Geschichte denken. In der Liste steht, dass eine Mediation sehr erschwert wird, wenn die Partner wiederholt gewalttätig gegeneinander waren. Und hier gibt es die wechselseitige Anzeige wegen Körperverletzung, was darauf hindeutet, dass die beiden sich geprügelt haben. Außerdem deutet die eigenartig verkopfte Art der Medianden, die in keinem Zusammenhang mit deren Emotionen zu stehen scheint, auf psychische Probleme hin. Auch das ist nach der o.g. Liste ein Kriterium, das eine Mediation erschwert. Solltet Ihr den Fall inzwischen trotzdem gelöst haben, ist das ein kleines Wunder und ich möchte unbedingt mehr darüber erfahren! Meiner Meinung nach sind die Umstände aber so unglücklich, dass die Mediation hier an ihre Grenzen stößt.
Das ist schon lange her jetzt. In der Tat war die Mediation eine Herausforderung. Phase 5 haben wir nicht erreicht. Das bedeutet aber nicht, dass die Mediation nicht möglich oder gescheitert war. Es ist zutreffend, dass man bei dem Gewalthintergrund mit anderen bandagen kämpfen muss. Das war aber nicht der Grund, warum die Mediation nicht zur Phase 5 gelangte. Der Grund war – wie sich später herausstellte – dass die Mediantin nicht die Wahrheit sagte und da waren wir auf der falschen Interessenbasis. Sie verheimlichte und leugnete beispielsweise ihren neuen Lebensgefährten, der im Hintergrund fürchterlich agierte. Das war für uns nicht erkennbar. Man hätte damit anderenfalls umgehen können. Dass die Mediandin falsche Interssen angegeben hatte war so auch nicht direkt erkennbar. Erkennbar war, dass sie große Probleme mit Scham hatte und dass sie Bekenntnisse in diese richtung nur abgeben konnte, wenn sie eine Steilvorlage bekommen hat. Etwa: “Es macht überhaupt nichts wenn Sie einen Geliebten haben das ist ganz normal.” Erst dann konnte die Mediandin zugeben, dass sie einen Geliebten hat. Nun ist das Problem, dass solche Steilvorlagen manipulativ sein können und da erreichen wir dann eine Grenze. Dass die Medindin uns nicht die Wahrheit sagte (nicht wirklich offen war) haben wir vermutet und thematisiert aber erst erfahren, als wir nach der Mediation mit der Rechtsanwältin der Mediandin über den Fall sprachen. Wir hatten uns sogar supervidieren und aufstellen lassen, weil wir nach Lösungswegen gesucht hatten. Aber auch die Aufstellung lenkte in eine falsche Richtung, weil die Ausgangstatsachen sich anders dargesetellt hatten. Was man in einem solchen fall machen kann ist eine evaluative Mediation, die sich hart am Thema und an Lösungen hält und das Emotionale zurück stellt. Oder, wenn es dennoch transformativ laufen soll, wenn Interventionen anderer (z.B. des Gerichts) flankierend organisiert werden können. Von daher teile ich nicht die Aufassung von Proksch, dass es Ausschlußtatbestaände gibt. Wohl aber dass solche Mediationen extrem schwierig sind und meist nicht ohne solche flankierenden Maßnahmen.
Danke für die ausführliche Antwort, das war wirklich ein spannender Fall und die Möglichkeiten, wie man mit so einer schwierigen Sache umgehen kann, werden hier besonders deutlich! Mich hat es erstaunt, wie weit Ihr gekommen seid.