Letzte Woche – während ich von Spandau nach Neukölln fuhr – hörte ich im Radio, dass es „schon wieder einen Amoklauf gegeben habe“ – in Landshut am Landgericht sei ein Unbekannter in mehrere Sitzungssäle eingedrungen und hätte wild um sich geschossen, mehrere Menschen seien getötet und verletzt worden. Am Ende hätte sich der Amokläufer selbst das Leben genommen. Der Rundfunksprecher hörte sich so an, als ob er von einer Normalität berichtet, scheinbar emotionslos hat er einfach nur die Fakten genannt und am Ende bemerkt, dass dies die ersten Meldungen seien und man noch nichts genaues wüsste.
Ich merkte, wie so langsam aber sicher Wut in mir aufstieg, zum einen über die Art und Weise der Berichterstattung aber auch über die Tatsache überhaupt, dass immer wieder Menschen in eine derartige Situation geraten, in der sie diese Art zu Handeln, als einzigen Ausweg sehen.
Die Gründe und Ursachen werden immer wieder bei den Medien, den Computerspielen, den Eltern, dem Umfeld der Täter gesucht. Die Täter – Opfer Diskussion ist in vollem Gange, obwohl doch jeder weiß, dass es eine fruchtlose Diskussion ist.
Sicherlich haben die Medien, die Gewaltfilme ausstrahlen oder auch die Computerspiele-Industrie einen Einfluss und können dazu beitragen, dass die Schwelle beim Einzelnen herabgesenkt wird. Und sicherlich müssen die persönlichen Rahmenbedingungen auch als eine Ursache mit in Betracht gezogen werden. Doch das allein reicht nicht aus, um Menschen dazu zu bewegen anderen und sich das Leben zu nehmen.
Was motiviert Menschen wirklich?
Ist es vielleicht Aufmerksamkeit, die sie durch diese Aktionen erhalten, die Aufmerksamkeit, die sie vorher nicht erhalten haben? Ist es vielleicht Verständnis und Nächstenliebe, das sie vermisst haben in ihrer Umwelt? Sie und andere zahlen einen hohen Preis, sie zahlen mit ihrem Leben und bekommen doch nicht das, was sie sich gewünscht haben.
Ich frage mich immer wieder, wie müssen sich Menschen fühlen, um überhaupt so handeln zu können, wie verzweifelt und hilflos und einsam müssen sie sich fühlen, um überhaupt auf diese Gedanken zu kommen, anderen und sich das Leben zu nehmen.
Können Menschen, die so handeln überhaupt noch etwas fühlen?
Wenn ich mich den Menschen, die diese Taten begehen, auf der Ebene der Bedürfnisse nähere, anstatt auf der Ebene der Urteile über sie, d.h. meine Gedanken allein darauf richte, welche Bedürfnisse bei diesen Menschen nicht erfüllt waren/sind, merke ich, wie ich immer trauriger werde. Meine Wut weicht der Trauer darüber, dass diese Menschen mit Ihren Bedürfnissen nicht gesehen wurden, dass sie sich und ihre Bedürfnisse selbst nicht sehen und wahrnehmen konnten und deshalb nicht nach Wegen suchen konnten, sich diese Bedürfnisse zu erfüllen.
Sie haben es im Laufe ihres Lebens offensichtlich nicht gelernt, sondern verlernt mit dem in Verbindung zu sein, was sie wirklich wollen und brauchen und dafür zu sorgen sich dies auf konstruktive Weise zu erfüllen bzw. die Rahmenbedingungen haben dazu geführt, dass sie es verlernt haben, weil der Mensch sich selbst aus den Augen verloren hat.
Die Finanzkrise spiegelt den Verlust dieser Verbundenheit in einzigartiger Weise wider.
Die Finanzkrise zeigt sehr deutlich, dass viele Menschen die Verbindung zu sich und ihren Bedürfnissen verloren haben und es sind nicht nur diejenigen, die wir als Täter in der Presse kennen lernen.
In unserer Gesellschaft gibt es eine große Zahl von Menschen die nicht mit ihren Bedürfnissen verbunden sind, die überhaupt nicht mehr wissen, was das überhaupt ist. Menschen wie sie und ich, Kinder, Jugendliche, Berufstätige, Arbeitslose, Rentner, Spitzenverdiener, Wissenschaftler, Politiker, Konzernvorstände, Berater, Frauen, Männer,… einfach Menschen in unterschiedlichen Funktionen und Lebenszusammenhängen.
Die Zunahme der Krankheiten und Ausfallerscheinungen, wie Burn-out, ADHS, Bulimie, Alkoholsucht, uvm. erzählen uns die Geschichte von Menschen, die sich selbst nicht mehr spüren und keine Verbindung zu ihren Bedürfnissen haben, d.h. die getrennt sind, getrennt von ihren Herzen und damit getrennt von ihren Gefühlen und Bedürfnissen.
Wie viele Menschen sprechen nicht über ihre Krankheiten und Probleme, verstecken sie, weil sie das Urteil unserer Gesellschaft fürchten. Doch in unserer Gesellschaft braucht man sich nicht mehr zu verstecken, weil ein jeder Symptome zeigt, die darauf hindeuten, dass die Menschen nicht mehr mit ihren Bedürfnissen verbunden sind, sie gar nicht mehr spüren können.
Es braucht keine schnellen Lösungen und Aktionismus, nicht noch mehr Gesetze und noch mehr Kontrolle und es braucht vor allem keine Schuldzuweisungen und die Suche nach Schuldigen.
Alles was ich oben aufgezeigt habe und es ist bei weitem noch nicht alles, es ist nur ein sehr kleiner Ausschnitt, deutet darauf hin, dass die Menschen die Verbindung zu sich selbst verloren haben, die Verbindung zu ihren Gefühlen und Bedürfnissen.
Schon Darwin hat herausgefunden, dass die Grundstruktur der Evolution Verbundenheit ist. Durch Verbundenheit wird Mitgefühl aktiviert. Verbundenheit ist Liebe, ist Nächstenliebe.
Das was unsere weltweite Krise an die Oberfläche bringt ist der Verlust dieser Verbundenheit des Menschen zu sich selbst und damit zu seinem Nächsten.
Diese Krise ist unsere Chance, dies wahrzunehmen und Wege zu beschreiten, die Verbundenheit wieder herzustellen.
Damit die Menschheit in der Lage ist all die technischen Errungenschaften und all ihr Wissen in friedlicher Weise umsetzen und leben zu können, d.h. den nächsten evolutionären Schritt vollziehen zu können, braucht sie die Wiederherstellung der Verbundenheit.
Und es ist an der Zeit sich dies wieder ins Bewusstsein zu rufen und die Handlungen dementsprechend zu gestalten.
Die Integrierte Mediation bietet Wege an, damit Menschen in friedvoller Weise miteinander umgehen und konstruktive Lösungen entwickeln können. Diese Instrumente und Wege sind durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Professionen aus der Praxis für die Praxis entwickelt worden und folgen einem ganzheitlichen Ansatz, der die Haltung fördert, mit Klarheit und Wahrheit und Offenheit und in Transparenz miteinander umzugehen.
Integrierte Mediation ist mehr als ein Verfahren zur Konfliktlösung, Integrierte Mediation ist eine Haltung, die in Zeiten der Krise die Verbundenheit zwischen den Menschen herstellen kann.
Berlin, 16. April 2009
Andrea Hoberg – Mediatorin, Trainerin und Beraterin für Kommunikation
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