“Was gesagt werden muss…“ – aus Sicht der Mediation
Günther Grass liegt in einer Hamburger Klink: mit Herzbeschwerden, so die Diagnose. Eine Routine-Untersuchung, wiegelt die Klinik ab.
Weltweit gab es teils extreme Reaktionen wegen der Äußerungen von Günter Grass – und wieder einmal mehr zeigt es sich, wie sehr individuelle emotionale Betroffenheit die Menschen daran hindert, ihren Verstand einzusetzen.
Pointiert formuliert: wohl ohne es zu merken, beweisen manche Kritiker mit ihrer Reaktion dem Postulanten Grass, dass er Recht hat.
Die Wirklichkeit – dargestellt als Dialog-Lehrstück der Integrierten Mediation, die helfen kann, Betrachtungsgrenzen zu überwinden.
„Ja, es muss etwas gesagt werden, immer und immer wieder! Man kann es gar nicht genug sagen: Seid vorsichtig mit den Meinungen der Anderen, auch mit denen der Kritiker! Und bedenkt vorsichtig Eure Worte!“
„Warum?“
„Sie könnten vernichtend sein! Worte sind zunächst nur Worte. Sie sind an und für sich völlig neutral. Worte haben aber Macht, weil wir ihnen eine Bedeutung zuschreiben. Es sind also nicht die Worte, die so gefährlich sind, sondern die damit einhergehenden Vorstellungen und Attributionen. Wie sonst könnte es sein, dass sie einen Krieg heiligsprechen oder einen Mord rechtfertigen? Wer aber weiß beim Wortgebrauch, welche Bedeutung seinen Worten zukommt? Ob sein Wort auf Lieschen Müller trifft oder Max Mustermann – oder einen Reich Ranitzki erreicht?“
Ein erfahrener Mediator hat deshalb gelernt, nicht allein auf die Worte zu achten, sondern auf die Bedeutung, die sich hinter ihnen verbirgt. Die sich hinter den Worten verbergende Wirklichkeit basiert jedoch auf einem persönlichem Konstrukt des Verwenders, das nur er zu offenbaren in der Lage ist.
Der Mediator, der an einem Dissens von Parteien arbeitet, achtet deshalb darauf, dass es der Sender der Information ist, der ihre Bedeutung definiert – nicht der Empfänger!
Deshalb verwendet er innerhalb der Mediation einige Anstrengungen darauf herauszufinden, was die jeweilige Streitpartei wirklich meint mit dem, was sie sagt. Jeder Mediator weiß, wie schwierig es ist, dies annähernd genauherauszufinden. Er weiß vom Konstruktivismus und auch darum, dass die Bedeutungswirklichkeit immer höchst individuell ist und substantiiert nur vom Informationsgeber selbst klargestellt werden kann. Zumindest ein Mediator der Integrierten Mediation (I.M.) weiß, dass – und wie – das Gesagte zwischen Fakten, Meinungen (Interpretationen) und Emotionen (Bedürfnisse) zu unterscheiden ist. Er kann die Ich-Botschaften heraushören und sollte in der Lage sein, die unterschiedlichsten Information sowohl kritisch als auch wertfrei entgegenzunehmen.
Das Verfahren der ‚Integrierten Mediation’ ist aber – über Dienstleistungen bei individuellen Konflikten hinaus – geeignet, dass auch bei öffentlichen Streiten, Disputen bis hin zu komplexen Konflikten die gebotene Sorgfalt in der Wahrnehmung und der Kommunikation nicht nur von berufenen Mediatoren, sondern von jedermann und besonders von den Politikern verstanden und verinnerlicht wird.
Mit den Konfliktbehandlungstechniken der Integrierten Mediation können sowohl Aussagen als auch Texte analytisch aufbereitet werden – und dazu beitragen, dass sich selbst die öffentliche Wahrnehmung von Aussagen an deren hinterkünftigen Bedeutungen orientiert. Und den Sinn und Zweck erspürt, welche die Verwender damit bewusst oder unbewusst verfolgen.
Dann fällt nicht nur einem Mediator zum Beispiel auf, dass sich beispielsweise ein Außenminister veranlasst sieht, öffentlich zu einem literarischen Akt zu äußern. Denn jedermann kann sich fragen: „Ich weiß nicht, welche außenpolitischer Sprengstoff in dieser Äußerung verborgen ist. Die eine Seite mochte es sicher gerne hören. Die andere ganz sicher nicht!“
Ein Mediator fragt sich darüber hinaus: „Wie passt eine solche Äußerung in ein politisches Konzept, das Frieden stiften will und warum muss sich ein Außenminister so und so weit aus dem Fenster lehnen?“
Fachlich erklärt bedeutet dies, dass sich ein Mediator nach Wahrnehmung der ihm zugänglichen Informationen einige Hypothesen bilden. Eine davon könnte hierbei bestätigt, dass tatsächlich etwas gesagt werden musste, aber: „Warum so – und nicht so , wie es gesagt wird.
Ein Mediator würde – anders als die Kritiker des Kritikers – nicht „wissen“, was genau Günter Grass ihm (uns) sagen wollte. Dazu müsste man ihn befragen. Auch wenn sich möglicherweise seine tatsächlichen Motive aus den öffentlichen Diskussionen im Nachgang herausfinden lassen könnten… es wäre eher langweilig, die Flut an ebenso wenig erhellenden Meinungsbekundungen auszuwerten.
Nicht langweilig allerdings ist, jetzt die wechselseitigen Angriffe der verschiedenen Aktivisten zu verfolgen. Geben sie nicht gerade damit etwas preis, wäre das dann nicht gerade das, was man ihnen selbst vorwirft? Konfliktparteien spiegeln sich im Verhalten, das auf etwas basiert, das sich üblicherweise der Evidenz entzieht: das ist es, was den Konflikt am Leben erhält.
Ein integrierter Mediator kann mit Meinungen erst dann etwas anfangen, wenn er die zugrunde liegenden Fakten herausgefunden hat und kennt.
Jedermann könnte sich aber sagen: „Ich würde mich auf eine Diskussion über den Text nur dann einlassen, wenn ich den Text gelesen und verstanden habe. Jetzt fällt es mir auf, dass es leichter ist die Meinungen über Meinungen abzurufen als den Streit auslösenden Text zu besorgen und sich selbst seine Meinung zu bilden!“
„Was gesagt werden muss“ ist mit den öffentlichen Reaktionen darauf ein Beispiel dafür, wie sich die Wahrnehmung eines Mediators unterscheidet von der geradezu zeitlos üblichen Art, auf Worte in deren öffentliche Interpretationen zu reagieren. „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide…“ – Friedrich von Schiller schrieb dies 1799. In einer damals die Öffentlichkeit bewegenden Konfliktbeschreibung, in „Wallensteins Tod“.
Auch ein Beispiel, ein frühes, das offenbart, wie sich eine kundige Kommunikation von einer sinnlosen unterscheidet, wie ein instrumentalisierter Streit aufgedeckt werden kann.
Die Integrierte Mediation heute könnte aber weitergehend dazu beitragen, dass nach der Aufdeckung sich eine Streiteskalation vermeiden ließe oder, im offenen Konflikt, sich eine Eskalation vermeiden lässt.
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