Die Bearbeitung hochstreitiger Familiensachen
Pia Beck interessiert sich dafür, wie hoch streitige Familienkonflikte zu lösen sind. Auf der Suche nach Konzepten stieß sie auf die so genannte Cochemer Praxis und die so genannte integrierte Mediation bzw. das Altenkirchener Modell. Die Sozialarbeiterin wollte es genauer wissen. Was bedeutet integrierte Mediation? Wie wirkt sie und woraus leitet sie ihre Existenzberechtigung ab? Pia Beck ging den direkten Weg. Sie befragte den praktizierenden Mediator Arthur Trossen wie er als Familienrichter zur integrierten Mediation gekommen war. Hier lesen Sie das Interview.
1. Theoretischer Hintergrund – konzeptionelle Hintergründe
Pia Beck: Skizzieren Sie bitte kurz die Vorgehensweise der Integrierten Mediation.
Arthur Trossen: Die Idee, bzw. Verfahrensweise ist folgende: Das Gerichtsverfahren endet häufiger Weise in einem Urteil, also in einer Entscheidung. Die Entscheidung ist immer ein „Entweder – Oder“, weil das Gericht keinen anderen Spielraum hat, als Entscheidungen zu treffen, die sich innerhalb des beantragten Rahmens bewegen und auf eine Verteilung des so definierten “Kuchens” hinauslaufen. Man nennt das ein Nullsummenspiel. Wenn der Richter trotzdem einen Konsens herbeiführen will, kann er verschiedene Wege einschlagen. Er kann auch die Mediation (verstanden als ein Prozess im psycholgischen Sinne) in das Verfahren einbeziehen. Er kann die Strukturen, Techniken, und Methoden der Metdiation verwenden, die ja auch Methoden der Schlichtung sind, und er kann einen großen Teil der Haltung eines Mediators einnehmen. Damit hat er alle Bedingungen der Mediation mit nur wenigen Einschränkungen erfüllt. Er geht also so vor, als würde er eine Mediation durchführen – allerdings unter anderen äußeren Bedingungen. Das Verfahren ist anders als ein Gerichtsverfahren, oder anders formuliert, es hat eine andere Qualität als ein herkömmliches Gerichtsverfahren. Wegen seiner mediativen Ausrichtung (Erzielung eines Konsenes) ist die Rede von „Integrierter Mediation“.
Pia Beck: Das heißt der erkennende Richter macht die Mediation?
Arthur Trossen: Ja, so kann man es sagen. Er wendet alle Strukturen und weitestgehend die Prinzipien der Mediation an, aber er kann nicht Mediator genannt werden, da er letztlich ja der Richter ist. Und er bleibt es auch. Alllerdings kann er – gemäß seinem Auftrag der ZPO – zusätzlich noch eine andere Rolle annehmen, wie zum Beispiel die des Moderators oder des Schlichters. In dieser Rolle versucht er das Gespräch so zu leiten, dass es sich erschließt, ob und wo sich ein Konsens finden lässt. Dabei ist es wichtig, zwischen dem Konsens und dem Kompromiss zu entscheiden. Konsens und Kompromiss wird in der Juristensprache oft als ein und das Selbe. angesehen. Beides ist dort ein Vergleich. Kompromiss bedeutet in der Mediation jedoch ein „lose – lose – Ergebnis“, beide Seiten geben nach. Konsens hingegen bringt ein „win – win – Verhältnis“. Mit dem Ergebnis sind beide einverstanden. Wenn der Richter nicht nur einen Vergleich, sondern einen Konsens herbeiführen will, dann wird er mehr oder weniger zwangsläufig alles anwenden, was auch die Mediation an Kompetenzen zur Verfügung stellt, um einen Konsens zu ermöglichen. Er wendet die Mediation deshalb wie ein Hybridverfahren an. Mediation ist ja ein Verfahren der Kommunikation und da hat der Richter in jedem Fall einen großen Spielraum.
Pia Beck: Wie kam die Idee der Integrierten Mediation auf und warum? Wann haben Sie die Idee der Mediation im Anhörungssaal das erste Mal bewusst angewendet, was war der Auslöser?
Arthur Trossen: Das ist eigentlich eine persönliche Geschichte. Ich war Familienrichter und wollte nicht gerne die Verantwortung für die Ergebnisse von Fällen übernehmen, deren Tragweite man auch als Richter kaum überschauen kann. Die juristischen Ergebnisse sind nur Teile der Konfliktlösung. Bei einer Sorgerechtsentscheidung hat der Richter viel zu wenig Informationen darüber, um sich ein Bild machen zu können, wie seine Entscheidung das Schicksal der betroffenen Familie beeinflussen wird. Ein anderes Problem ist das mangelnde Feedback in diesem Beruf. Wenn man sich nicht sicher ist, welche Entscheidung, die richtige ist, dann wirkt es entlastend, wenn die zu treffende Regelung von den Betroffenen mitgetragen wird. Das sind dann die Parteien die selber eine Verantwortung für den Ausgang des Konfliktes zu übernehmen haben. Es gibt eine klare Rollenverteilung. Als Richter übernehme ich gerne die Verantwortung für die rechtliche Entscheidung, aber nicht für das Schicksal der Parteien. Mit dem Vollzug einer derart geteilten Verantwortung kommt die Idee der Mediation wieder ins Spiel. Der Effekt für den Richter ist eine emotionale Entlastung. Die Umsetzung betrifft das Thema integrierte Mediation.
Pia Beck: Das war doch dann das Justizprojekt gewesen?
Arthur Trossen: Das war letzt endlich das Justizprojekt gewesen. Ich habe am Anfang sehr oft mit Herrn Kempf diskutiert und habe als Richter versucht, immer mehr Kommunikationstechniken anzuwenden. Dann merkt man, dass die Techniken zwar zur Entspannung beitragen, jedoch nicht zur Konfliktlösung führen. Dann merkt man auch, dass man nicht nur Techniken einhalten muss, sondern auch Methodik und Prinzipien. Eine bestimmte Ablauflogik braucht man auch. Wenn man über Lösungen spricht, muss man vorher über Interessen geredet haben. Solange die Interessen nicht geklärt sind, ist kein Raum für Lösungen. Mit dieser Erkenntnis führt man automatisch immer mehr Modalitäten der Mediation ein. So ist das Altenkirchener Modell entstanden. Es geht darum, die Mediation als Idee, bzw. als Know-how in das Basisverfahren, in meinem Fall das Gerichtsverfahren mit einzubringen. Im Laufe der Zeit hat sich der Name „Integrierte Mediation“ entwickelt. Die Mediatoren waren mit der Ursprungsidee verunsichert. „Du bist ja Richter, Du kannst kein Mediator sein.“ Irgendwann habe ich gesagt, dass die Leute recht haben. Ich bin kein Mediator, ich bin integrierter Mediator. Seit dem gibt es den Verein „Integrierte Mediation“. Das erste Mal habe ich zu Beginn meiner Zeit als Familienrichter 1993 die integrierte Mediation angewendet. Der Trend der Familienrichter geht ohnehin in die Richtung, Vergleiche herbeizuführen. Das hat insofern schon gepasst. Dann konnte ich und später auch Kollegen mit dieser Verfahrenweise immer mehr Erfolge erzielen. Seit wann gibt es die „Integrierte Mediation“? Den Verein gibt es seit 2001. Das erste Mal wurde der Begriff etwa 1996 / 1997 verwendet. Die Grundzüge gab es schon 1993 und entwickelten sich bis 1996. Dass die integrierte Mediation modellfähig wurde, war dann etwa 1998
Pia Beck: Wie kamen Sie zu der Anschauung: ein Kind braucht beide Eltern? (Was es scheinbar sonst sehr selten in Deutschland gibt und von den Feministen negiert wird.)
Arthur Trossen: Diese Frage kommt für mich ein wenig überraschend. Ich habe aber eine Antwort: das haben mir die Kinder gesagt. Bei den Kindesanhörungen habe mich auf die Kinder – so glaube ich – ganz gut einstellen können. Sie hatten berichtet, dass sie beim Vater sein wollen, gleichzeitig war zu hören, dass sie bei der Mutter sein wollen. Die Eltern glauben nicht, dass beides stimmt. Als Mediator gehe ich davon aus, dass beide Aussagen richtig sind. Ich kenne aber auch die psychologischen Hintergründe für solche scheinbaren Widersprüchlichkeiten.
Pia Beck: Das habe ich schon öfter erlebt, wenn Juristen ein bißchen Psychologie zulassen, dann sind die offener dafür, dass Kinder beide Eltern brauchen.
2. Methodische Ansätze
Pia Beck: Die Methodik des Richters / Rolle im Verfahren? Sie haben gesagt, dass Sie die Rolle des Moderators übernehmen.
Arthur Trossen: Das ist jetzt ganz kompliziert. Ich habe mehrere Rollen im Verfahren. Ich bin ja nicht nur Richter, ich bin ja auch Mensch. Der wird gerne übersehen. Dann bin ich in der Rolle der Amtsperson, der Vollstrecker der einen Partei, der Brückenbauer der anderen. Die Erwartungen der Parteien sind ganz unterschiedlich und wir Richter haben oft kein Bewusstsein darüber. Wir denken, die Rolle des Richters sei eindeutig. Das ist sie aber ganz und gar nicht. Wenn Sie ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Rollen herstellen können, dann besteht auch die Möglichkeit, dass man zwischen den Rollen wechselt. Ich muss aber jeweils klären, in welcher Rolle ich mich verhalte. Das Problem – das besprechen wir später noch an einem anderen Punkt – liegt in der Vertraulichkeit. Wenn ich die Rolle des Moderators (oder Mediators) eingenommen habe und wieder in die Rolle des Richters schlüpfe, was bedeutet das für die Parteien? Nehme ich dann das Wissen aus der anderen Rolle mit, oder lasse ich es zurück?
Pia Beck: Welche Aufgaben übernehmen Sie?
Arthur Trossen: Aufgaben ergeben sich aus den Rollen. Ich übernehme alle Rollen die in Betracht kommen. So interessiere ich mich dafür, was die Partei von mir erwartet. Die Frau erwartet vielleicht Vermittlung, der Mann vielleicht Vernichtung. Wenn ich vermitteln soll, dann bin ich kein Richter. Dann gebe ich Unterstützung, dass die Parteien wieder ihre Kommunikation herstellen können. Das ist schon interaktiv. Ich nehme dann die Rolle des Mediators, des Moderators wahr. Die Rolle des Richters nehme ich dann wieder wahr, wenn es Chancen für einen Konsens nicht erkennbar sind. Ich mache aber stets klar, in welcher Rolle ich mich befinde. Mit meiner Rolle verändern sich das Verhalten der Personen und somit auch das Klima im Verfahren.
Pia Beck: Was ist mit Ihrer Autorität als Richter?
Arthur Trossen: Ich habe die Autorität über das Verfahren, aber nicht über die Entscheidung der Parteien. Weder meine Autorität als Richter noch die als Moderator oder Mediator leiden, wenn ich die Autonomie anderer achte. Die Autorität des Richters wird nicht in Frage gestellt, indem er eine eigenverantwortliche Verhandlungen der Parteien unterstützt. Im Gegenteil. Sie drückt sich in Respekt und Akzeptanz aus.
Pia Beck: Machen Sie noch etwas anderes außer „Richten“?
Arthur Trossen: Wie meinen Sie das? Das ist jetzt aber nicht persönlich gemeint?
Pia Beck: Wie meinen Sie das jetzt? Damit war die Sache gemeint: Konsens finden. Die Frage haben Sie schon beantwortet. Kommen Sie nicht in einen interpersonellen Konflikt, wenn Sie Mediation mit einem streitenden Paar durchführen und später urteilen müssen?
Arthur Trossen: Ich komme nicht in einen Konflikt – ich persönlich nicht. Das habe ich vorher schon mit den Parteien geklärt. Jetzt sind wir bei dem Thema Vertraulichkeit. Ich teste vor, ich rede ja mit den Parteien. Dann spürt man ja auch, wie weit man gehen kann und wie emotional das Ganze ist. Man spürt auch, wie die Parteien trotz der juristischen Präsenz über ihre Gefühle reden wollen und dann auch können. Dann wird das Gespräch auch offener. Das ist der Punkt, an dem man den Parteien sagen muss, dass wenn sie sich nicht einigen können, ein Urteil zu sprechen ist. Dann muss klar sein, was vertraulich ist und was nicht. Alles andere bedeutet, die Parteien ins offene Messer laufen zu lassen und absolut gegen alle Regeln – ZPO, wie auch Mediation zu verstoßen. Es gibt nur wenige Parteien, die sich nicht auf offene Gespräche einlassen. Geheimnisse, die der Richter nicht wissen darf, sind meist strategische Belange. In Unterhaltssachen zum Beispiel gibt es eine Auskunftspflicht. Da ist praktisch nichts mehr vertraulich, was die Einkommensverhältnisse anbelangt. Es gibt kein schutzfähiges Geheimnis, weil die Partei auskunftspflichtig ist. Beim Vermögensausgleich ebenso. Was gibt es dann noch Tatbestandsrelevantes, was der Richter nicht wissen darf? Dass der Mann eine neue Freundin hat, trägt spätestens die Frau vor. Dass jetzt ein Sorgerechtsantrag gestellt wird, um die Verhandlungsposition im Unterhaltsprozess zu verbessern, mag ich selbst unterstellen. Es ist aber keine Erkenntnis, die mir hilft, ein Urteil anders zu formulieren oder einen Beschluss anders zu entscheiden. Es gibt aber durchaus Informationen, die kritisch sind, die informell weitergetragen werden. In der formaljuristischen Sprache kommt dann etwas ganz anderes heraus. Hier kann der Anwalt seinen Mandanten darauf aufmerksam machen, dass er bestimmte Themen ausgrenzt. Ein weiterer Aspekt der Vertraulichkeit ist die Frage, in wie weit der Richter Zusagen machen kann, dass er Gehörtes wieder vergisst. Dazu gibt es ganz unterschiedliche Meinungen. Eindeutig ist die Meinung, wenn dem Richter etwas in Kindschaftssachen zu Ohren kommt,,was unter den Amtsermittlungsgrundsatz fällt, dann hat er keine Wahl, er muss die Information verwerten. Das sagt man den Parteien aber klipp und klar an. Also, so viele Geheimnisse gibt es nun gar nicht. Manchmal ist das Gericht der einzige Ausweg für Streitparteien, die das Gefühl haben, es könne ihnen (sonst) keiner mehr helfen. Sie wollen, dass ihnen jemand zuhört. Und wenn sie das Gefühl haben, da hört mir jemand zu, dann öffnen sie sich. Zuhören ist die wichtigste Vorraussetzung, eine, die wirklich hilft. Das Thema Vertraulichkeit ist ein wichtiges Thema, aber in der Praxis spielt es eine unbedeutendere Rolle als in der Theorie. Der Richter hat verschiedene Rollen. Der Richter hat die Rolle des Entscheiders, aber nur in zweiter Instanz. Der Richter hat aber auch die Rolle des Schlichters nach dem Gesetz. Also Schlichter im Gesichtspunkt von Mediation, bedeutet, dass ich die Parteien grundsätzlich für eigenverantwortlich und autonom halte, selbst noch einen Weg in eine Lösung zu finden. Ein Mediator gibt keine Lösungen vor, und er hilft den Parteien, selbst nach Lösungen zu suchen. Diese Rolle kann auch ein Richter annehmen. Es ist nur die Frage, in wie weit die Parteien das akzeptieren. Ausschlaggebend ist, dass sie es akzeptieren. Es geht nur freiwillig. Wenn nicht, dann switchen wir zurück in die formale Kommunikation. Dann würde der offiziell angebrachte Sachstand ausgewertet, wo muss eventuell Beweis erhoben werden. Dabei entsteht aber gerne wieder eine Dynamik mit einer weiteren Chance noch einmal ein Gespräch zu versuchen. Wenn beide Seiten zu verlieren glauben, dann fangen sie spätestens an zu verhandeln. Also muss der Richter ihnen im Gerichtssaal nur klar machen, welchen Nutzen sie von einem Urteil erwarten können, und wie sich ihre Chancen im Prozess verteilen., Schon fangen sie an zu verhandeln. Nicht jeder Jurist unterscheidet zwischen Konsens und Kompromiß. Für Juroisten ist beides ein Vergleich. Ich bekomme natürlich leicht einen Vergleich zu Stande, wenn ich der Kläger-, wie auch der Beklagtenseite vor Augen führe, dass sie beide zu 100 % verlieren werden, wenn sie es auf ein Urteil ankommen lassen. Dann verspreche ich ihnen eine Chance bei Reduktion auf 50 % – das wäre dann im Nullsummenspiel der am größten mögliche Gewinn für jeden und zugleich auch für jeden ein Verlust. Trotzdem sind jetzt beide Seiten bereit für einen Kompromiss. Hier ensteht die Möglichkeit, etwas mehr zu finden, als nur den Kompromiss. Wenn die Parteien das erkennen, dann kommen wir in ein Mediationsgespräch. Solange auch nur eine Seite meint, sie könne gewinnen, wird sie am Verfahren festhalten, und somit an der Konfrontation. Erst wenn beide das Gefühl haben, sie kommen mit der Konfrontation nicht weiter, wechseln sie zur Kooperation.
Pia Beck: Dass kann aber doch auch ganz schön haarig werden, wenn es zwei Knochen sind, oder?
Arthur Trossen: Wieso? Es ist eine Frage von einer gewissen Intelligenz. Wenn beide verstehen, dass bringt so nichts, dann fangen sie auch an umzudenken. Sie brauchen also einen Grund, ihre Strategie zu wechseln. Hier ein konkretes Beispiel: Es war eine Sorgerechtssache. Ich fragte die Antragstellerin, wie sie an meiner Stelle entscheiden würde. Die Antragstellerin sagte, sie wolle nicht in meiner Haut stecken. Ich fragte den Antragsteller, wie er an meiner Stelle entscheiden würde. Auch er sagte, er wolle nicht in meiner Haut stecken. In der Mediation nennt man das Rollentausch – eine Reframingtechnik. Ich war etwas überrascht über die Antwort, aber konnte aus dem Bug (Fehler) ein Feature (Merkmal) machen, und konnte sagen: „wenn Sie beide mit meinen Möglichkeiten als Entscheider und als Kenner Ihres Konfliktes – der ich ja nicht bin – nicht wissen, wie Sie das Problem lösen können, was erwarten Sie dann von mir?“
Pia Beck: Dann haben sie angefangen zu verhandeln?
Arthur Trossen: Sie haben angefangen nachzudenken, und haben den Antrag zurückgenommen. Sie haben gemerkt, dass es auf dem Weg nicht weitergeht. Das klappt aber nur, wenn beide das merken. Solange einer das Gefühl hat, er hat einen Vorteil, will er in der Konfrontation bleiben. So kann man das Ganze ein wenig steuern. Das geht auch ohne Druck, so wie viele das machen, die mit einem versagenden Urteil drohen und dadurch beide Parteien in den Kompromiss treiben. Man kann durchaus zum Konsens motivieren, indem man den Parteien auch klar macht, dass sie durchaus mehr bekommen können, als sie in einem förmlichen Prozess zu erwarten haben.
Pia Beck: Ich muss noch mal zurück. Sie haben vorhin von Rollen gesprochen. Der Mensch wird versteckt, so habe ich das verstanden. Richter sind Sie, und der Mensch wird versteckt?
Arthur Trossen: Eben nicht, er muss ja irgendwo zur Geltung kommen. So lange ich nichts von meiner Persönlichkeit zeige, kann ich kein Gespräch führen. Ein Amtsträger kann – sag ich mal so – nur Amt tragen. Wenn man mit Menschen sprechen will, muss man ihnen als Mensch gegenübertreten. Das ist schwierig, wenn der Menshc gleichzeitig von der Robe versteckt wird. Ich habe nachher weitestgehend keine Robe mehr getragen. Ich war dann in meiner normalen Straßenkleidung und auch nicht im Sitzungssaal, sondern in meinem Büro.
Pia Beck: Es wurde also immer eine intime Sphäre geschaffen?
Arthur Trossen: Ja, eher eine private Atmosphäre. Es ist einfach ein besseres Setting.
Pia Beck: Haben Sie die Methoden erarbeitet? Wenn ja, wie? Oder haben Sie sie übernommen / überarbeitet?
Arthur Trossen: Es gibt verschiedene Methoden der Mediation, die hier etwas anders angewendet werden. Prinzipien werden etwas anders definiert, wie zum Beispiel das Prinzip der Vertraulichkeit – die muss man etwas eingeschränkter formulieren, wie in der reinen Mediation. Bei uns heißt da Prinzip: leg die Grenzen offen und lass die Streitparteien entscheiden, worauf sie sich einlassen.
Pia Beck: Wurden Sie zum Mediator ausgebildet?
Arthur Trossen: Ich wurde zum Mediator ausgebildet.
Pia Beck: Wenn ja, wer hat Sie ausgebildet?
Arthur Trossen: Da war am Anfang sehr viel Angelesenes. Dann Kurse, Kongresse, einige Semester Psychologie, Gerry Friedman, Jack Himmelstein, dann habe ich viel Co-Mediation mit Dipl. Psych. und Mediator Eberhard Kempf gemacht später Co-Training. So kam das eben in der Summe. Anders als viele Mediatoren hab ich eine Menge Praxis. Ich musste mich nicht über Fälle beklagen.
Pia Beck: Es ist jetzt nicht so, dass Sie ein Zertifikat an der Wand hängen haben?
Arthur Trossen: Zertifikate sind nicht entscheidend. Aber ein immer populärer werdendes Thema, mit dem sich auch unser Verein befasst. Welches sind die Kompetenz- und Qualitätsmerkmale eines guten Mediators?
Pia Beck: Welche Variante/Stil der Mediation führen Sie bevorzugt durch? Hier meine ich z.B. Pendel-Mediation oder Therapeutische Mediation.
Arthur Trossen: Das muss man differenzieren. Es gibt die facilitative Mediation, die durch Strukturierung zur Lösung führen will, die transformatorische Mediation, die versucht die Fähigkeiten der Parteien zur wechselseitigen Anerkennung und Lösungsfindung anzusprechen. Dann gibt es die evaluatorische Mediation. Sie ist dem Juristischen sehr nahe. Sie arbeitet am Fall. Wenn man Mediation in Gerichtsnähe betreibt, liegt diese Variante am nächsten. Das Ergebnis muss sich aus dem Fall heraus entwickeln. Aber die Grenzen sind fließend. Ich denke fast jeder Mediator wird ein Mix aus all dem verwenden.
Pia Beck: Was ist, wenn sich einer der Beteiligten der Mediation völlig verwehrt,
Arthur Trossen: dann gehe ich wieder ins Formale über
Pia Beck: oder nur im Gerichtssaal einlenkt um seine „Ruhe“ zu haben? Also, es wird im Gerichtssaal scheinbar ein Konsens herbeigeführt und dann spielt er / sie seine Spielchen weiter.
Arthur Trossen: Dazu muss man die Situation kennen. Man führt die Gespräche und lässt den Einzelnen einfach nicht so leicht aus dem Gespräch heraus. Es ist nicht so einfach sich zu verweigern, wenn der Richter in Kommunikation geschult ist. Man bemerkt einen solchen Fall in der Mediation übrigens ganz deutlich, wenn in der Phase 4 zur Phase 2 keine Weiterentwicklung stattgefunden hat. In Phase 4 spricht man über Lösungen. Davor hat eine Interessenerhellung stattgefunden. Dann sollte es eine 100 %ige Wahrscheinlichkeit geben, dass die Lösung, welche einen größeren Interessenraum einbezieht, eine andere ist, als die Position vorgegeben hat, welche die Partei zuvor eingenommen hatte. Die Parteien vertreten zunächst eine Position. Dann werden die Interessen geklärt. Danach gibt es andere Lösungen für das Problem. Wenn die Lösungen nicht anderes sind als vorher, dann deutet dies darauf hin, dass keine Interessenerhellung statt gefunden hat. Das könnte ein eindeutiges Zeichen dafür sein, dass eine Partei nicht ernsthaft teilgenommen hat. Ja, dann redet man über die Beobachtung. Die Idee ist es jetzt,,Strategien offen zu legen. Es genügt die Fragestellung. Man braucht häufig gar keine Antwort darauf. Das Gegenüber wird vorsichtiger sein und ist mehr kooperativ. Dann ist da noch ein anderes Phänomen. Die Anwälte stellen sich auf den Richter ein. Das heißt, sie bekommen Übung im Umgang mit dem Richter, wenn sie öfter vor dem gleichen Richter sind. Sie wissen, worauf er hinaus will. Und sie können ihrem Mandanten im Vorfeld sagen, ob das, was er will auch ankommt.
3 Formale / informelle Kooperation
Pia Beck: Was passiert, wenn aus einer akuten Eskalation heraus, bereits Strafverfahren (Gewalt- oder Mißbrauchsvorwurf) angestrengt wurden, oder ein Platzverweis/Nährungsverbot (Gewaltschutz) erteilt wurde. Lassen sich die Ermittlungsbehörden in ein Verfahren mit einbeziehen; integrieren? Gerade, wenn es um Umgangsblockade geht.
Arthur Trossen: Meine Vorgehensweise wäre folgende – grundsätzlich würde mich das gar nicht interessieren – mich interessiert aus der Vergangenheit nur das, was in der Gegenwart noch wirkt. Das ist im juristischen Denken anders. Wenn ich als Mediator spreche, stehen die juristischen Fragen nicht mehr im Vordergrund. Sie werden nicht ignoriert und kommen dort zur Anwendung wo es juristisch notwendig ist. Es kommt natürlich auch darauf an, was sich hinter der Bestrafung verbirgt. Wenn es um eine Gewaltschutzsache handelt, dann muss man schauen, was der Auslöser für den mit dem Bestrafungsverfahren verbundenen Vorwurf war. Wenn die Mutter z.B. den Vorwurf nutzt, um den Vater von sich und dem Kind fern zu halten, obwohl ein Gewaltschutzfall im juristischen Sinne am Ende nicht vorgelegen hat. Jetzt ist es an der Zeit herauszufinden, was dem Kontakt mit dem Vater im Wege steht. Wenn es eine Dissonanz auf der Beziehungsebene ist, dann muss das geklärt werden. Er hat sie vielleicht emotional verletzt. Sie kann den Mann vielleicht nicht mehr leiden, aber was ist mit dem Vater? Kann sie den auch nicht leiden? Das ist meist die Folge eines Wahrnehmungsphänomens. Kann ich jemanden nicht leiden, dann schreibe ich ihm alle diese schlechten Eigenschaften zu. Im einem moderierten Gespräch kann sich dagegen eine differenzierte Sicht herausstellen die den Partner in der Beziehung zwar als einen Versager bezeichnet, aber den Vater mit guten Eigenschaft belegt. Das kann man herausarbeiten. Wenn die Parteien erkennen, dass sie verletzt sind vom Partner und eigentlich nur Rache wollen, dann sind sie auch fähig andere Lösungen zu finden für das Kind. Gewaltschutz ist auch abhängig davon ob und inwieweit die Beziehung der Streitparteien geklärt ist. Können sie sich akzeptieren in der Situation in der sie gerade sind? Die einzige Lösung ist, dass beide an einen Tisch kommen. Es kommt alles auf den Tisch und dann schaut man, wie geht man damit um.
Pia Beck: Wie erreichen Sie hier einen Fortgang des Verfahrens? So erreichen Sie auch den Fortgang des Verfahrens…
Arthur Trossen: Ja, ich switche von der Rolle des Richters in die Rolle des Mediators, indem ich einfach anfange zu fragen. Das merkt kein Anwalt, das merkt kein Mandant. Ich frage einfach nur nach Beweggründen und Strategien. Das geht dann dahin, dass die Parteien zugeben, dass der Konflikt unter den Problemen liegt, die sie da geltend machen. Sie werden auch merken, dass das Problem nicht behoben wird, wenn sie den Konflikt nicht lösen. Das Ergebnis lässt sich prognostizieren. Man kann den Parteien erklären was passiert, wenn sie den Konflikt nicht anpacken, Dann kann man sie fragen, wie sie weiter vorgehen wollen. So wie eine Anmediation des Falles möglich wäre, so hat der Richter kaum die Zeit für eine vollständige Mediation. Und hier beginnt dann die Vernetzung zu wirken. Der Richter kennt Mediatoren, oder koorperiert mit dem Jugendamt oder er gibt den Parteien Hinweise, wo der Hund begraben liegt. Inzwischen haben die Parteien ein Gefühl dafür bekommen, was passiert. Ihnen wird spätestens jetzt erklärt, dass die Verfahrensweise eine Mediation ist oder einer solchen nahe kommt. Damit verbunden wird das Angebot, die Mediation fortzusetzen. Im Grunde mediiere ich im Gerichtssaal an. Danach muss ich die Parteien nicht mehr von der Mediation überzeugen.
Pia Beck: Welchen Stellenwert haben formale Kooperationen / Welchen Stellenwert haben informelle Kooperationen zwischen den Professionen? Gibt es diese überhaut? Schicken Sie die Paare auch zu Beratungsstellen? Wo steht das Jugendamt im Verfahren? Wie verlaufen Kommunikationswege – formal oder ehr informell – sind diese überhaupt notwendig?
Arthur Trossen: Im Jugendamt gab es damals andere Probleme zu bewältigen, in kritischen Familien. In Trennungs- und Scheidungsangelegenheiten wurden dann meist die Anerkennungspraktikanten zum Gericht geschickt. Informell haben wir uns – bildlich gesprochen – abends in der Kneipe getroffen und geredet. Altenkirchen ist klein. Es gab zu meiner Zeit drei Anwaltskanzleien. Wir nutzten den kurzen Dienstweg, um klare Vorstellungen zu formulieren. Anwalt und Richter konnten sich auf diese Weise gegenseitig unterstützen und supervidieren.
Die juristische Kommunikation ist eine formale Kommunikation. Im Verfahren gibt es aber auch Güteverhandlungen. Der Richter soll ja auch schlichten. Und Schlichtungsgespräche verlaufen immer informell. Wobei informelle Gespräche formal eine ganz andere Bedeutung bekommen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung:: Der Schuldner kann die Forderung zu einem späteren Zeitpunkt tilegen. Er möchte einen Aufschub des Verfahrens erwirken. Bespricht er seine Idee mit dem Richter kann es sein dass der nur hört: dass die Schuld anerkannt wird. Er könnte sofort ein Urteil schreiben. Innerhalb des Gerichtes lässt sich ein informeller Rahmen herstellen, dieser ist aber nicht so geschützt, wie außerhalb des Gerichtsaales. Nun, wir sind in der Kooperation. Kooperation ist wichtig für die Verteilung von Ressourcen. Die informelle Kommunikation steht im Vordergrund. Ich hab früher mit einer Gutachterin zusammengearbeitet, die war daran interessiert, keine Gutachten zu schreiben und ich war daran interessiert eine Lösung zu finden. Sie hat gearbeitet, und wenn etwas war, hat sie den informellen Weg gewählt und mich angerufen, wenn es Probleme mit den Parteien gab. Dann haben wir einen Termin gemacht. So habe ich sie unterstützt in ihrem mediativen Prozess und sie mich, indem sie die Parteien mir wieder zugeführt hat. In der Kooperation ist die informelle Kommunikation meines Erachtens nach unerlässlich. Dort wo sie gefährdet ist oder nicht zustande kommt, hilft ein formaler Kommunikationsrahmen, informelle Kommunikation zu ermöglichen. Das ist ein Effekt, der sich etwa in einem Arbeitskreis herstellen lässt.
Pia Beck: Was bekommen die streitenden Eltern von den Kommunikationen zwischen Ihnen und Behörden mit?
Arthur Trossen: Die Eltern kriegen schon alles mit. In der Mediation ist höchster Grundsatz ja auch die Transparenz. Im Gericht kann ich nichts verwerten, was nicht aktenkundig ist. Die Parteien haben Akteneinsicht. Ich halte es für ungeschickt Informationen zurück zu halten. Vieles wird auch aus sich selbst heraus transparent. Terminabsprachen beispielsweise erfahren sie indem der Termin bekannt gegeben wird. Wenn sie nach dem Warum fragen, kann ich ohne weiteres sagen dass der Termin mit der Gutachterin abgestimmt wurde. Gegebenenfalls besteht über das Telefonat sogar eine Aktennotiz die dann wieder im Wege der Akteneinsicht bekannt gemacht wird. Inwieweit Arbeitshypothesen, die mit den Kooperationspartnern abgestimmt waren zu offenbaren sind, ist situationsabhängig.
Pia Beck: Wie offen sind die Verbindungen der Institutionen untereinander dargelegt?
Arthur Trossen: Anwälte, Gutachter, Richter sind in meinem Verständnis ein Team mit verteilten Ressourcen. Bei diesem Bild werden die Verbindungen als Kooperationen eingeführt ohne, dass sie formal festgelegt werden müssen. Ich meine damit die Kooperation in einem Verfahren, nicht die Kooperation im Sinne eines Arbeitskreises. Auf der institutionellen Ebene she ich aber auch kein Problem, wenn sich der Richter zur Kooperation in einem Arbeitskreis bekennt.
Pia Beck: Bedeutung SGB VIII §§ 16 – 21 und §§ 27 – 35, § 50 , §§ 8 und 8a) in hochstrittigen Situationen / ebenso § 1666 BGB im Verfahren?
Arthur Trossen: Kommt darauf an, was es für ein Verfahren ist. Grundsätzlich empfinde ich die Parteien als autonom, selbstverantwortlich und kompetent ihre Probleme selbst zu lösen. Der Staat sollte sich meiner Meinung nach soweit wie möglich aus der Privatheit und Persönlichkeit der Menschen heraushalten. Es gibt unterschiedliche Grundeinstellungen. Für mich ist die Familie eine Beziehung ohne Gewalt.Gewaltanwendung wäre demnach die Ausnahme und nur auf konkreten Hinweis zu verfolgen. Ich habe aber auch Erfahrungen aus östlichen Ländern. Da hat die häusliche Gewalt einen ganz anderen Stellenwert. Sie begegnen Auffasungen wie der einer russischen Frau, die die Schläge ihres als ein Zeichen seiner Liebe abkauft.
Pia Beck: Das heißt, um so härter die Prügel sind, desto mehr liebt er sie?
Arthur Trossen: Ja, ja, das hat eine Logik. Was viele nicht sehen, Hass ist ja auch eine Form von starken Emotionen. Das Gegenteil von Liebe ist aber nicht Hass sondern Gleichgültigkeit. Hass ist ein genauso intensives Gefühl, wie Liebe, nur dass ein negatives Vorzeichen davor steht und bei Liebe ein positives. Ich sag es mal, eine gewisse Form von Gewalt hat dort eine Toleranz. War bei uns übrigens auch mal so. Das ist noch gar nicht so lange her. Ich würde sogar sagen, dass es noch nicht aufgehört hat, nur die Form hat sich geändert. Für das Familienverfahren bedeutet dies die Fakten (nicht Meinungen!) zu akzeptieren und auf deren Grundlage nach Bedürfnissen zu suchen, die unbefriedigt sind. Konkret heißt das, zu schauen, was braucht das Kind, was brauchen die Eltern. Was können die zusammen herstellen, dass es ihnen einzeln oder zusammen (wieder) gut geht. Wenn diese Auseinandersetzung gelingt, kann man ein sicheres Treffen mit dem Kind arrangieren. Wenn das gelingt, ist die Gefährdung oft widerlegt. Oft entsteht der Gefährdungsvorwurf aus der Konfliktsituation heraus. Ich beziehe mich jetzt auf die Scheidung. Wir reden von einer Rosenkriegscheidung. Die streitenden Parteien kümmern sich nur um uns selbst und benutzen ihr Kind um es gegen den anderen auszuspielen. Bei den Fällen ist es meist so, dass das einander schlecht machen aufhört, sobald der Konflikt geklärt ist. Ich kenne in meinem Weltbild keine Eltern, die ihren Kindern wirklich schaden wollen. Ich kenne nur Eltern, die sich im Konflikt befinden und deshalb besonders auf sich selbst konzentriert sind. Sie haben ihre Kinder aus dem Blick verloren. Jetzt kommt es darauf an, die Wahrnehmung zu korrigieren. Das ist auch ein Teil der Mediation. Wenn das mediative Gespräch funktioniert, werden die Eltern erkennen, dass das,, was sie mit den Kindern machen, nur mit ihnen zu tun hat. Aus dieser Erkenntnis stellen sich dann Lösungen zu Gunsten des Kindes her. Wenn sie sich nicht öffnen, dann wird die Herausforderung größer. Dann kann man das Setting ändern. Welche Faktoren können die Parteien dazu bringen, wieder miteinander zu reden? Wenn der Richter das Instrumentarium an Hilfen kennt, dann hat er einen größeren Interventionsradius. Da wird dann das Jugendamt interessant. Dazu dann noch Gutachter und Anwälte und dann kann man miteinander kooperieren und zusammen nach weiteren Lösungen schauen.
Stellenwert Vernetzung
Pia Beck: Wer oder wo ist die Hauptanlaufstelle?
Arthur Trossen: Der Stellenwert der Vernetzung ist hoch! Die Hauptanlaufstelle, das sehe ich virtuell. Es kommt darauf an, aus welcher Streitlage die Parteien Bedarf entwickeln. Wenn ich die Frage aus der Sicht der Parteien beantworte, und diese vor Gericht stehen, dann ist es das Gericht. Das Gericht ist ja vernetzt. Wenn das Gericht nun eine andere Kompetenz braucht, dann wäre der Richter ungeschickt, wenn er diese nicht mit hinzuzieht.
Pia Beck: Gibt es diese Hauptanlaufstelle überhaupt? Sind bei der integrierten Mediation noch psychologische Gutachten notwendig? Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Arthur Trossen: Möglicherweise sind dies die Rechtsanwälte. Ja natürlich sind Gutachten noch notwendig, aber vielleicht seltener weil in kooperativ angelegten Verfahren weniger Streitpotenzial aufkommt. Bei mir speziell aber auch wegen meiner Zusatzausbildungen.
Pia Beck: Ist bei der Integrierten Mediation überhaupt Vernetzung notwendig?
Ja.
Kostenfaktoren für die Betroffenen
Pia Beck: Was kostet eine integrierte Mediation? Ist dies über die PKH abrechenbar?
Arthur Trossen: Die integrierte Mediation ist ja kein gesondertes Verfahren. Die kostet also nichts extra. Es ist ja nur die Methode, Kommunikation und Haltung, die sich ändert. Ich achte aber darauf, dass die Anwälte, wenn sie sich einigen, nicht weniger verdienen. Ich regle das Verfahren so, dass die Anwälte keinen Gebührenabzug erleiden müssen. Das ist eine Bedingung, dass die Anwälte für die neuartige Verfahrensweise interessiert sind. Die Abrechnung erfolgt über das zugrunde liegende Verfahren, mithin gelten die Kostenbedingungen des Gerichtsverfahrens. Hinsichtlich der Finanzen sollte erwähnt folgende markante Beobachtung nicht unerwähnt bleiben. Bei Unterhaltssachen ist die Höhe der finanziellen Ansprüche meist zugleich ein Gradmesser für den Konflikt. Eine Frau, die emotional sehr gekränkt ist, wird einen sehr hohen Zugewinnausgleich fordern, mehr, als ihr zusteht, um die Kränkung zu kompensieren. Unterhalt spielt auf den Neidfaktor an. Es gibt also auch hier den Link auf den Beziehungskonflikt, auf den man ohne weiteres auch eingehen kann. Das würde dann auch in der Kindschaftssache helfen. Der Konflikt ist durchgängig und nicht nur in Kindschaftssachen oder Unterhaltssachen, auch im Hausratsverfahren und in anderen Sachen. Auch da habe ich die Möglichkeit auf das Kernproblem hinzuarbeiten. Wenn wir dann auf der Paarbeziehungsebene sind, kann man auch ansprechen, wie es mit der Eltern-Kind-Beziehung aussieht. Es entsteht ein Bewußtsein dafür, wo das Problem liegt. Das lässt sich dann fokussieren. Und das ist soviel ich weiß anders als in Cochem. In Cochem sagen die Anwälte, in den Verfahren, die nicht Kindschaftssachen sind, streiten wir konventionell. Da wollen die Anwälte auch streiten können. In den Kindschaftssachen sind sie kooperativ. Bei der integrierten Mediation wird nach Möglichkeit in jedem Verfahren, also auch in den Nicht-Kindschaftssachen auf Kooperation und die eigenverantwortliche Vereinbarungen der Parteien hingearbeitet.
Pia Beck: Kostenfaktoren für die Professionen Wie viel Zeit müssen Sie in der Regel investieren, um Paare zur Einsicht und einem einvernehmlichen Konsens im Interesse des Kindes zu bringen?
Arthur Trossen: Das ist eine knifflige Frage. Für die Mediation in Familienkonflikten braucht man schon erfahrungsgemäß ca 10 Sitzungen. Wenn der Konflikt nicht hoch liegt, brauch man etwa drei Sitzungen. Das sind so etwa fünf, sechs Stunden. Diese Zeit kann man im Gericht nicht zur Verfügung stellen. Jetzt denke ich als Richter automatisch an Vernetzung, wenn der kooperative Weg weiter zu beschreiten ist.
Integrierte Mediation – Fakten + Zahlen
Pia Beck: Hier haben Sie schon gesagt, dass sie kaum Feedback erhalten. Aber wir können mal schauen, wie weit wir durchkommen. Wie viele Familien wenden sich im Falle einer Trennung unmittelbar (über anwaltl. Schreiben) an das Gericht, ohne vorher zum Jugendamt / Beratungsstelle zu gehen?
Arthur Trossen: Da kann ich Ihnen aktuell nichts dazu sagen. Das ist nicht unbedingt transparent für das Gericht. Die Beratungsstelle in Altenkirchen hatte damals eine Wartezeit von vier Monaten, bis man dort einen Termin bekommt. Die Leute gehen dann auch eher in andere Städte, um sich dort beraten zu lassen – weil man sie ja hier sehen könnte. Auf diese Weise könnte ihr internes Problem plötzlich öffentlich werden.
Pia Beck: Helfen Sie nur in hochstrittigen Fällen? Wenden sich auch andere Trennungseltern an die Profession? Also sprich, dass sich die Eltern zwar gütlich einigen können, aber dennoch zu Ihnen kommen um sich zu vergewissern, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen haben.
Arthur Trossen: Ohne dass ein Verfahren anhängig ist geht das leider nicht mit dem Gericht. In England gibt es ein Verfahren das Early Neutral Evaluation genannt wird. Damit können die Parteien eine richterliche Einschätzung der Rechtslage anfordern. Das könnte auch für uns ein Vorbild sein. Aus der Parteiensicht erfolgt der Zugang zu den Professionen aus deren Rolle heraus. Die Partei geht zum Anwalt, wenn sie eine Rechtsberatung braucht. Sie geht zum Jugendamt, wenn sie eine soziale Beratung braucht usw. Daran ändert sich auch in einem Kooperationsmodell wie dem Cochemer Arbeitskreis nichts. Die Vernetzung findet eben auf der professionellen Ebene statt. Das geht aber sicherlich auch ohne einen formal eingerichteten Arbeitskreis.
Pia Beck: Dann würde es wahrscheinlich informeller laufen, oder?
Arthur Trossen: Ja, ja, Austausch auf jeden Fall. Die Idee eines Arbeitskreises ist schon deshalb interessant, weil die Professionen lernen, welche Ressourcen sie einander zur Verfügung stellen können. Es kommt aber auch immer wieder in der Landeskonferenz zur Sprache, was die Themen in einem Arbeitskreis sein können, der sich seit 10 Jahren monatlich trifft. Das ergibt eine ganz eigene Dynamik.
Pia Beck: Waren Sie schon ein Mal dort gewesen?
Arthur Trossen: Ja klar, aber dann gab es wieder das Thema „Wohl des Kindes“. Das wiederholt sich dann. Man muss vielleicht mehr noch die anderen Funktionen des Arbeitskreises würdigen. Was der für einen Service bietet. In Cochem ist es auch einb gutes Stück Weiterbildung. Die Teilnehmer des Arbeitskreises informieren sich, holen Trainer rein und tauschen sich aus. Selbstorganisierte Weiterbildung – das ist vielleicht sogar der wesentliche Teil?
Pia Beck: Die nutzen das auch als Supervision.
Arthur Trossen: Ja, das stimmt, es gibt Intervisionen. Das ist eine große Chance für die Professionen, zumal kostenpflichtige Supervisionen von den Juriosten wenigstens kaum in Anspruch genommen werden.
Pia Beck: Kommt auf den „Spaßfaktor“ an.
Arthur Trossen: Dann darf es nicht zur Pflicht werden.
Pia Beck: Als ich dort war, muss ich sagen, fand ich das sehr spannend, auf welch einer gewissen Flamme die ganze Sitzung brannte. Aber auch die Argumentationen, die im Gespräch liefen. Das ist eine ganz besondere Atmosphäre. c) Gibt es Zahlen über durchgeführte Integrierte Mediationen?
Arthur Trossen: Das lässt sich schlecht sagen. Im Grunde jeder Fall. Im Gerichtsverfahren möchte ich versuchen, in jedem Fall die Interessen zu eröffnen. Bei einem Teil der Parteien muss man gar nichts machen, die werden sich einig, das ist eigentlich der Größte Teil. Bei den anderen kann man es mit Mediation versuchen. Viele gehen darauf ein. Der Rest ist Bodensatz – da kann man nichts machen – da muss dann eine Entscheidung getroffen werden. Bei jedem Fall wird versucht die Interessenebene zu erreichen, wenn es geht, ist es gut, wenn nicht, dann nicht. Die Chancen der Parteien miteinander ins Gespräch zu kommen wiederholen sich im Laufe des Gerichtsverfahrens mehrfach. Man sollte also mehrfach versuchen, in diese Richtung zu intervenieren.
Erfolge / Mißerfolge
Pia Beck: Nachhaltigkeit, Feedback der Betroffenen a) Eben hab ich Erfolge, Misserfolge herausgehört, als Sie „Bodensatz“ sagten.
Arthur Trossen: Da muss man mal überlegen, was Mißerfolge sind.
Pia Beck: Erfolg ist für mich, wenn die Kinder beide Eltern haben. Mißerfolg ist, wenn die Boykotthaltung aufrecht erhalten wird, wenn die Kinder weiter entfremdet werden, wenn der Expartner weiter mit Vorwürfen torpediert wird, und so weiter. Da haben wir vorhin schon drüber geredet, dass dies ein Konflikt in der Paarebene ist.
Arthur Trossen: Man muss die Leute auch dahingehend unterstützen, dass sie lieber in die Kooperation, als in die Konfrontation gehen. Unsere Gesellschaft ist eher konfrontativ. Hier kommt wieder das Systemische zum tragen. Kooperation wird sehr misstrauisch beobachtet und hat oft einen negativen Touch. Ein Arbeitskreis kann das ganze Streitsystem justieren.
Pia Beck: Worin liegt es begründet, dass eine Boykotthaltung aufgegeben wird?
Arthur Trossen: Hier kommen verschiedene Konflikte zusammen und die werden nicht getrennt voneinander behandelt- dadurch sind die unlösbar. Noch toller wird es ja, wenn der Großvater oder die Großmutter noch eine Rolle spielen. Dann hat man noch eine Konfliktebene. Und die müssen erst mal voneinander getrennt wahrgenommen werden. Man muss deshalb auf jede Beziehung einzeln eingehen.
Pia Beck: Wie kann man denn unter so vielen Beziehungen den Knoten lösen?
Arthur Trossen: Man muss jede Konfliktpartei individualisieren. Dazu sollten alle Parteien an einen Tisch sitzen. Jetzt sind die Standpunkte anzuhören und daraus ergegen sich die ersten Hinweise auf die zugrunde liegenden Konflikte.
Pia Beck: Dauert es für die zerstrittenen Betroffenen vom ersten Antrag (Umgang/Sorgerecht) bis zur ersten Verhandlung nicht zu lange?
Arthur Trossen: Ich befinde mich gedanklich nicht nur in den Kindschaftssachen. Darauf sollte hingewiesen sein. Um Ihre Frage zu beantworten: Es kommt darauf an. Der Richter hat Gestaltungsspielräume. Es hat sich gezeigt, dass eine schnelle erste Terminierung hilfreich ist. Es wäre falsch in einer einstweiligen Sache ohne Termin zu entscheiden. Der Termin sollte wenn möglich schon am nächsten Tag anberaumt werden. Wenn einmal ein termin statt gefunden hat, lässt sich das Verfahren, seine Dauer und Wirkungen mit den Parteien erörtern. Sie werden damit zum Teil des Prozesses und erkennen die eigene Verantwortung am Verfahrensablauf. Nicht immer mögen die Anwälte einen schnellen Termin. Sie haben die Sorge, zu oft in einer Sache vor Gericht erscheinen zu müssen. Am Ende bekommen Sie ein Gefühl für den richtigen Rhythmus aus der Aktenlage. Zeit ist durchaus auch ein strategischer Faktor.
Pia Beck: Sie sind vor der Kindschaftsrechtsreform ausgestiegen, oder?
Arthur Trossen: Kurz danach. Aber das spielte für mich keine große Rolle. Wir haben ohnehin auch vorher schon immer die gemeinsame Sorge den Parteien belassen.
Pia Beck: Wie ging das denn, es musste doch mit der Scheidung etwas entschieden werden. 1:24’50’’
Arthur Trossen: Auch wieder eine tolle Geschichte, die wieder für die Einrichtung eines Arbeitskreises argumentiert. Es gab vom Ministerium eine Broschüre „Eltern bleiben Eltern“. Die habe ich den Eltern mit der Klageschrift zugestellt. Das war schon eine unterschwellige Botschaft. Ich fand eigentlich nur den Titel gut. Da waren dann die Fristen eingeteilt, wie man sein Kind sehen soll. Das fand ich nicht so toll. Ich weiß sowieso nicht, wie man das in Fristen einteilen kann. Das Idealbild ist wenn die Eltern sich vertragen und das dann nach Bedarf des Kindes selbst regeln. Die Anwälte wussten von der Broschüre. Sie hatten auch das Problem, dass sie, wenn sie wieder streitende Sorgerechtsanträge gestellt hätten, sich meinen Sermon über gemeinsame Sorge wieder ausführlich anhören. Mussten. So, dass die Anwälte ihre Parteien zuvor bereits darauf eingestellt hatten, dass sie bei diesem Richter einen Sorgerechtsantrag gleich vergessen könnten. Leider kam bei einer öffentlichen Veranstaltung heraus – es wurde vorher nie von dem Psychologen der hiesigen Beratungsstelle thematisiert – dass ich nicht wüsste, was mit den Frauen geschehe, denen das gemeinsame Sorgerecht aufgezwungen werde. Sie kämen heulend zu ihm in die Beratungsstelle. Die Nachricht hatte mich völlig irritiert, weil ich nie jemandem etwas aufgezwungen hatte, wenigstens glaubte ich das. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass die Anwälte den Parteien zwar das Ergebnis vorgegeben hatten aber die dahinter stehende Bedeutung wurde nicht nachhaltig vermittelt. Ich habe dann meine Strategie geändert und habe das, was ich dann im Termin kurz angesprochen habe, zuvor bereits schriftlich den Parteien zukommen lassen.
Pia Beck: Wie sieht die Gefahr der Entfremdung der Kinder oder Kontaktabbruch zu einem Elternteil aus? Was ist mit Vorwürfen, die vorerst alle konstruktiven Wege zu verbauen scheinen. Das können wir fast streichen. Da sage ich: ein geklärter Paarkonflikt eröffnet Wege.
Arthur Trossen: Genau. Bedenken Sie, hinter jedem Vorwurf steckt ein Bedürfnis. Der lässt sich mit Paraphrasen und positivem Umformulieren als Gesprächstechniken herausarbeiten. Das ist nicht ganz einfach. Zunächst muss zurück gemeldet, was verstanden wurde. Das ist ja zunächst erst mal was Negatives. Wenn das dann einfach positiv zurück gemeldet wird, dann fühlt sich die Partei nicht mehr wahr genommen. Also muss der Vorwurf zunächst angenommen werden, und Akzeptanz signalisiert werden. Dann fange ich an zu hinterfragen. Oft werden Bedürfnisse dargelegt, die man verständlich machen kann.
Pia Beck: Gab es Misserfolge? Wenn ja, worin wird der Misserfolg gesehen? Wie sehen die Erfolge aus?
Arthur Trossen: Ich habe im Schnitt pro Jahr vielleicht ein Urteil gemacht. Das andere wurde alles im Konsens gelöst. Den Konsens der Parteien sehe ich als den Erfolg. Im Falle einer Einigung vor Gericht ist der Richter Teil eines Einigungsprozesses. Er kann beeinflussen ob die Parteien einen Kompromiss oder einen Konsens vereinbaren.
Pia Beck: Erfolg sehen Sie darin, wenn die Leute mit einem Konsens nach Hause gehen.
Arthur Trossen: Das wäre der absolute Erfolg.
Pia Beck: Wie wird die Nachhaltigkeit gemessen?
Arthur Trossen: Durch den Konsens ist die Nachhaltigkeit indiziert. Ich sag mal landläufig: eine Vereinbarung, die ich selber treffe, fällt mir leichter einzuhalten, als eine, die mir aufgezwungen wurde. Um jetzt aber fair zu sein: ein Urteil, das ich akzeptiere, hat den gleichen Effekt. Es geht um die Akzeptanz, die emotionale und rationale Übereinstimmung mit dem Ergebnis.
Pia Beck: Haben Sie von den Betroffenen schon direktes Feedback bekommen, wie es ihnen erging, wie sie sich fühlen, ob sie mit der Vereinbarung klar kommen?
Arthur Trossen: Der Konsens gibt mir das Feedback. Das war auch ein Hauptargument, sich auf so ein mediatives Verfahren einzulassen. Der Richter gibt den Parteien wieder die Verantwortung über das Ergebnis zurück. Er vergewissert sich natürlich, dass dies so gewollt und verstanden wird. Hauptsächlich habe ich mittelbares Feedback erhalten. Häufig über andere Professionen, wie das Jugendamt. So direkt von den Parteien eher seltener. Heute würde ich Fragebögen ausgeben.
Pia Beck: Gab es Eltern, die ein weiteres Mal zu Ihnen kamen, weil eine Vereinbarung gebrochen wurde? Wenn ja, was haben Sie getan?
Arthur Trossen: Ich bin ja in der Hauptfunktion Richter. Sie kommen dann zu mir ans Gericht. Also ist die Frage, ob es Folgeverfahren gab. Das ist schwer zu sagen. Die Fälle, in denen ein Konflikt weiter schwelt, die hat man ständig. Bei den Vereinbarungen, da kann ich mich nicht mehr erinnern. Da kann ich leider nichts mehr dazu sagen.
Pia Beck: Wo liegen die Grenzen der Integrierten Mediation?
Arthur Trossen: Die liegt in der Bereitschaft der Parteien, bzw. die Zustimmung der Parteien. Und natürlich die formalen Grenzen des Zivilprozesses.
Pia Beck: Prognose für den Rest von Rheinland-Pfalz / der Republik? Wird die Integrierte Mediation Vormarsch erhalten?
Arthur Trossen: Das Projekt war ja vorher mal beim Herrn Dr. Bamberger. Er war damals OLG-Präsident. Er hatte die Projektverantwortung übernommen. Danach haben wir die ersten Familienrichter des OLG Koblenz Bezirkes in Mediation ausgebildet. Wir haben ihnen auch gesagt, wie man Mediation ins Gerichtsverfahren integrieren kann. Aus der Zusammenfassung in der Broschüre der Koblenzer Praxis können Sie gerne zitieren. Die Haltung hat sich im Laufe der Ausbildung geändert, das konnte man wunderbar beobachten. Die Erfolge hat Herr Bamberger an das Ministerium berichtet und immer mit der Idee, dass mehr gemacht werden soll. So, nun ist Herr Dr. Bamberger unser Minister. Er wird versuchen, Rheinland-Pfalz flächendeckend mit Mediationsrichtern und in integrierter Mediation geschulten Richtern auszustatten. Wir bilden jedenfalls weiterhin die Kollegen aus. Ich bin einer von drei Ausbildern. Es ist jetzt schon die dritte oder vierte Generation an Richtern, die ausgebildet wird. In anderen Bundesländern werden die Richter ausgebildet, die es wollen. Und es gibt noch die anderen Modelle. Rheinland-Pfalz deckt dann das ganze Spektrum an Mediation ab. Cochem wird ja auch gefördert. Die Prognosen stehen extrem gut.
Pia Beck: Wie lange schätzen Sie, wird es dauern, bis in Kindschaftsachen den Kindern beide Eltern erhalten bleiben? Dass das auch in allen Köpfen von sämtlichen Professionen drin ist.
Arthur Trossen: Eigentlich denke ich, die Kinder gehen ihren Eltern niemals verloren.
Pia Beck: Umgekehrt?
Arthur Trossen: Auch nicht. Es kann sein, dass der Eine nicht mehr zur Verfügung steht, aber verloren geht er nicht. Es wandelt sich um, es ist anders da.
Pia Beck: Ich denke an PAS.
Arthur Trossen: Ja, ich auch. Das Kind ist ja nicht weg. Da ist ein Beziehungsgefüge, das leidet. Da leiden alle in dem Gefüge. Das ist ja das spannende. Wenn einer leiden würde, dann wäre es ja wahrscheinlich kein (Beziehungs-)Konflikt.
Pia Beck: Andere Sache, Sie bilden Richter aus. Ich werfe mein Auge jetzt speziell auf Mainz. So wie es ausschaut, kommen die Richter trotz Fortbildung mit hochkonflikthaften Geschichten nicht klar.
Arthur Trossen: Konflikte sind nicht jedermanns Sache und der Umgang mit Konflikten in einem juristischen Setting macht es nicht gerade einfach. Es ist aber eine Frage der Zeit und vielleicht auch der inneren Einstellung. Der Konflikt muss angesprochen werden. Der Fall wird so lange nicht in einem Konsens enden, bis der Konflikt nicht wenigstens akzeptiert wurde. Dann kann man den Nutzen des Konfliktes hinterfragen. Das kann man den Parteien nicht auf den Kopf zusagen, den müssen sie selbst erkennen. Das Kind spielt auch eine Rolle. Seine Konfliktbeteiligung lässt sich beispielsweise mit einem leeren Stuhl symbolisieren. Dann hat man alle an einem Tisch und kann herausfinden, was die jeweiligen Bedürfnisse sind. Ein möglicher Nutzen, warum die Mutter den Vater ausschließen mag ist, dass sie nicht ständig an den Vater erinnert werden will. Sie kompensiert den Hass gegen den Ehemann. Sie möchte eigentlich dieses dunkle Kapitel der Vergangenheit abschließen. Es ist aber unmöglich, weil das Kind sie jeden Tag daran erinnert. Und das muss man ihr klar machen. Auch wenn sie die Hälfte des Kindes wegblendet. Löst das ihr Problem? Die Parteien sind unter Umständen hoch konfliktträchtig und hören vermutlich auch nicht zu. Das erreiche ich aber, indem ich darauf achte dass zugehört wird. Da kann es hilfreich sein, die Richterrobe mal zur Seite legen und als Mensch zu reden. Ich kann mir vorstellen, das einige Richter unsicher sind, dem Konflikt zu begegnen. Die Sachebene ist sicherer für sie und an die sind sie gewöhnt. Manche Richter haben dann Angst, Ihnen könnte das Handling verloren gehen. Konfliktgespräche machen erschweren die Arbeit. Sie sehen deshalb auch nicht unbedingt einen Vorteil in dieser Art er Kommunikation und müssen sich erst noch umstellen. Man kann zum Beispiel einen Vorteil darin sehen, wenn die Parteien sich zanken. Da ist noch Emotion im Spiel, und sie zeigen im Streit, was sie bedeuten.Im Verfahren müssen permanent Impulse gegeben werden. Alle Sichtweisen müssen nachvollziehbar sein. Beim PAS wird oft übersehen, dass zwei Streitparteien im Spiel sind, nicht nur die Mutter. Die spannende Frage lautet hier: was tut der Vater, dass die Mutter sich so verhält, und umgekehrt. Es braucht eine Distanz um so fragen zu können.
Pia Beck: Man hat doch dann ziemlich viel Zeit verpaßt, die nicht nachholbar ist?
Arthur Trossen: Ist es das?
Pia Beck: Ich weiß es nicht, ich glaube – Moment, ich weiß es wohl! Es ist so in den Köpfen drin „ich habe Zeit verpaßt, wie kann ich die nachholen?“ Ich weiß für mich ganz persönlich, dass jede Zeit nachholbar ist. Sogar intensiver, je älter man ist.
Arthur Trossen: Genau. Was die im PAS handelnden Müttern riskieren ist, dass sich die Kinder von ihr abwenden, wenn sie für sich herausbekommen, dass der andere Elternteil ihnen entfremdet wurde. Sie wenden sich unter Umständen sogar von beiden Eltern ab, weil sie sich betrogen fühlen. Die Mutter ist mit ihrer Strategie langfristig nicht im optimalen Bereich. Und lässt sich ihr vermitteln. Wenn sie das von einem Richter hören kann, ist das meist nicht schlecht. Das ist eine neutrale Instanz.
Pia Beck: Bei manchen Müttern verschallt das aber leider auch.
Arthur Trossen: Dann haben sie es vielleicht nicht verstanden. Ich kenne das Phänomen. Oft kommt der Spruch „ich glaub doch, was ich sehe“. Man muss aber auch bedenken, dass es ein starkes Umdenken ist. Manchmal klappt das mit einem Reframing oder mit einer paradoxen Intervention. Manchmal braucht es eben auch Druck von Außen. Und da kommt wieder die Idee von Cochem. Mediationstechniken:
Pia Beck: Frage am Rande: Wie gehen Sie mit einem Elternteil um, der keinen Kontakt zu seinem Kind will?
Arthur Trossen: So einen Fall habe ich nur in der Theorie abgehandelt. Da geht es um den Vater, der auf Umgang verzichtet und sie verzichtet auf Kindesunterhalt. Das war früher ein beliebter Deal. Dann hat aber die Rechtssprechung gesagt, dass diese Vorgehensweise sittenwidrig sei. Die Juristen lassen den Gedanken deshalb von vorn herein nicht aufkommen. In der Mediation gehe ich damit ganz anders um. Ich würde die Parteien fragen, was sie eigentlich haben wollen. Dass einer sein Kind nicht will, das halte ich für unwahrscheinlich.
Das Interview war Teil der Diplomarbeit Cochemer Praxis vs. Integrierte Mediation
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