Die Mediatoren legen zu Recht einen großen Wert darauf, dass die von Heiner Geisler angestrebte Beilegung des Konfliktes über den Bahnhof in Stuttgart keine Mediation sei, sondern eine Schlichtung. Auch Heiner Geisler selbst hebt den Unterschied hervor, indem er sich als Schlichter bezeichnet. Wenn wir uns aber den Referentenentwurf des Justizministeriums zum Mediationsgesetz anschauen, ergibt die Legaldefinition aber eine andere Konsequenz.
Der Referentenetwurf definiert die Mediation in § 1 unter “Begriffsbestimmungen” wie folgt:
1. unabhängig von einem Gerichtsverfahren (außergerichtliche Mediation),
2. während eines Gerichtsverfahrens außerhalb des Gerichts (gerichtsnahe Mediation)
oder
3. innerhalb des Gerichts von einem nicht entscheidungsbefugten Richter (richterliche Mediation).
(2) Ein Mediator ist eine unabhängige und neutrale Person ohne Entscheidungsbefugnis, die die Parteien durch die Mediation führt.
Die Schlichtung in Stuttgart 21 ist ein Verfahren. Heiner Geisler – das möchte ich unterstellen – ist neutral. Er ist eine dritte Person, weil er weder zur einen noch zur anderen Partei gehört. Das Ziel des Verfahrens ist ein Einigung. Die Parteien versuchen freiwillig und eigenverantwortlich eine einvernehmliche Beilegung ihres Konflikts herbeizuführen.
Der Fall zeigt eine Stärke und Schwäche der Legaldefinition, die in gleicher Weise auch schon in der EU Richtlinie erkennbar war und sich aus dem Normzweck erklären lässt. Die Stärke besteht darin, dass sich der Schutz des Gesetzes auch auf eine Schlichtung erstrecken muss, ebenso wie auf eine evaluative Mediation. Auch ein Schlichter muss Vertraulichkeit zusichern können. Zu dem Zweck muss auch er sich auf ein Zeugnisverweigerungsrecht berufen können. Wenn Sie – gemessen an der Tatbestandsmerkmalen des Gesetzes – die Auffassung vertreten, das Verfahren sei wegen der öffentlichen Beteiligung nicht vertraulich, dann wäre wohl keine Mediation im öffentlichen Bereich eine Mediation im Sinne des Gesetzes. Eine Mediation wäre allerdings auch dann tatbestandlich nicht mehr gegeben, wenn die Parteien in einem Verfahren sich darauf einigen, die Öffentlichkeit zuzulassen. Die Schwäche der Legaldefinition zeigt sich nun darin, dass der Begriff der Mediation verwässert wird. Das Gesetz will – wenigstens nach dem Diktus der EU Direktive – eine Regelung für ADR Verfahren generell einführen. Man sieht aber deutlich, dass dieses Gesetz keine Klarheit schafft, sondern eher Verwirrung stiftet.
Prof. Eidenmüler sagt im Gastbeitrag der FAZ am 7.11.2010, es sei keine Mediation.
… Ebenso wichtig wie diese Fragen ist allerdings die Qualität der Vermittlungsgespräche. Sie werden in der öffentlichen Diskussion als Schlichtung, Mediation, Moderation, vereinzelt gar als Schiedsverfahren bezeichnet. Der Begriffsgebrauch erscheint beliebig. … Die genannten Begriffe bezeichnen unterschiedliche Verfahren der Drittintervention zur
Lösung von Konflikten. Gemein ist diesen Verfahren der Versuch einer außergerichtlichen
Streitbeilegung mit Hilfe eines neutralen Dritten. Im Übrigen unterscheiden sich die Ziele,
Abläufe und Methoden jedoch deutlich. … In mindestens sechs Sitzungen sollen sechs
Sachthemen im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt bearbeitet werden. Möglichst alle
relevanten Informationen sollen auf den Tisch kommen. Befürworter und Gegner des
Projekts entsenden jeweils sieben Vertreter. Hinzu kommen Experten. Das Verfahren
besitzt eine Debattenstruktur und wird im Fernsehen sowie über das Internet live
übertragen. Laut Geißler besteht sein Ziel in der Befriedung und Versachlichung der
Debatte. Es gehe um einen „Faktencheck“ und den Versuch, zu einer gemeinsamen
Bewertung der Fakten zu kommen. Danach müsse jede Seite ihre Konsequenzen aus dieser
Bewertung ziehen. Daneben wird eine Aufklärung der Öffentlichkeit angestrebt. Diese solle
in die Lage versetzt werden, jederzeit „selbständig zu denken“.
Vergleicht man diese Elemente und Ziele mit den Wesensmerkmalen der eingangs
genannten Verfahren, so ergibt sich folgender Befund: Ein Schiedsverfahren ist die
Vermittlung Geißlers sicher nicht. Ein solches wäre an Rechtsansprüchen orientiert und
würde mit einem für die Parteien verbindlichen Schiedsspruch enden, wenn diese sich nicht
vergleichen. Das aber ist hier weder gewollt noch rechtlich möglich – liegt es doch nicht in
der Hand der Beteiligten, einen Schiedsrichter mit der bindenden Entscheidung über den
Konflikt zu beauftragen. Entgegen der derzeit gängigsten Bezeichnung für die Gespräche in
Stuttgart sind diese auch keine Schlichtung. Denn eine Schlichtung, die vor allem aus
Tarifkonflikten geläufig ist, liefe im Ergebnis auf eine unverbindliche Empfehlung des
Dritten, den Schlichterspruch, hinaus. Auch das ist hier nicht der Fall, jedenfalls nicht
erklärtermaßen. Schließlich handelt es sich aber auch nicht etwa um eine Mediation. In
einer Mediation versucht ein kommunikativ geschulter Mediator innerhalb eines
strukturierten Verfahrens den Parteien zu helfen, auf der Basis ihrer jeweiligen Interessen
autonom eine Konfliktlösung zu erarbeiten und zu vereinbaren. … Die
Beteiligten in Stuttgart sind aber weder allein befugt noch dazu berufen, über das
Verhandlungsergebnis selbst zu entscheiden. Im Gegensatz zu einer typischen Mediation
orientiert sich das Verfahren auch nicht an den Interessen der Parteien. … Im Ergebnis ähnelt die Vermittlung in Stuttgart am stärksten noch einer Moderation: Es geht vorrangig um eine ordnende Hilfestellung bei der Gesprächsführung durch die Aufstellung einer Tagesordnung und durch die Leitung der Diskussion. Das Verfahren ist, wie für eine Moderation typisch, an Sachthemen orientiert und ergebnisoffen.
Wir sind uns also einig, es ist keine Mediation. Die Parteien scheinen formal nicht legitimiert, über den Streitgegenstand Vereinbarungen zu treffen. Was ist dann der Sinn des Verfahrens? Offenbar verspricht man sich doch, dass die angestrebte Vereinbarung von Wenigen von Vielen übernommen wird. Oder geht es nur um politische Makulatur, in der man so tut als schenke man einer Gruppe von renitenten Bürgern etwas Aufmerksamkeit und Öffentlichkeitswirkung? Der Schlichter hat keine Mediatorenausbildung. Hängt die Qualifizierung des Verfahren wirklich nur von einem Zertifikat ab? Interessen stehen angeblich nicht im Vordergrund, weil es nur um Sachfragen gehe. Bedeutet das, dass Interessen nicht zur Sprache kommen dürfen? Geht das überhaupt? Ist es nicht so, dass sie sich in den Sachargumenten verstecken? Was bedeutet ds für den Referentenentwurf, indem solche Kriterien wenigstens nicht explizit erwähnt werden? Soll der Schutz des Gesetzes für privatautonome Verhandlungen mit Drittintervention, der sich in der Schweigepflicht, das Zeugnisverweigerungsrecht, der Unterbrechung der Verjährung usw. niederschlägt nur auf die explizite Mediation anzuwenden sein, nicht auf sonstige ADR Verfahren?
Es ist keine Mediation! (Oder doch eine ganz raffinierte?). Dem Verfahren fehlt es jedenfalls schon an einer Grundbedingung der Mediation, nämlich der Ergebnisoffenheit. So einfach könnte man es sagen. Und doch!
Als jemand, der die vergangenen Sitzungen praktisch komplett und live mitbekommen hat, möchte ich einiges festhalten, auch wenn „die Parteien“ schon „formal nicht legitimiert“ sind, „über den Streitgegenstand Vereinbarungen zu treffen“, .und was dann „der Sinn des Verfahrens“ sei?
Herr Geißler sieht sich selbst nicht als Mediator. Erst gestern hat er gesagt, dass er letztendlich doch als Schlichter einen Vorschlag machen werde (und machte dabei ein Gesicht, das klar aussagte, dass er sich nie und nimmer mit irgendeiner Erfolgserwartung befassen würde).
Abgesehen davon, dass ich der Argumentation von Arthur voll zustimme, frage ich mich:
Was macht Heiner Geißler gut?
a) Er zwingt die Parteien in geradezu penetranter Weise, zur Sachaufklärung beizutragen.
b) Er macht das öffentlich.
c) Er macht das unparteiisch..
Dabei besteht er auf ein sehr mediatives Element, nämlich, dass jeder Beteiligte (und damit meint er die Öffentlichkeit, genauer gesagt, jeden einzelnen Bürger!) verstehen können muss, was vorgetragen wird.
Das geht an den Rand der Erträglichkeit und ich rechne es ihm, seinem Alter und seiner Unparteilichkeit an, dass er immer wieder durcheinander bringt, welches Gutachten von wem erstellt wurde oder wer sich auf was beruft.
Ein Ergebnis hat sein Wirken bisher jedenfalls gebracht – und das halte ich für sehr wichtig. Jetzt wird nicht mehr nur über den Bahnhof Stuttgart geredet (dessen Abriss, wie sich heraus gestellt hat(!!), nach den Vorstellungen beider Parteien ohnehin unumgänglich ist – oder kann sich jemand den Bahnhof, so er/sie schon einmal drinnen war, als „luftig, lichtdurchfluteten“ Raum vorstellen?), sondern über die gesamte überregionale Infrastruktur. Bis hin zur Trasse am Rhein (Gotthardtunnel) und von Paris nach ….
Nennt man das in der Mediation nicht die Erweiterung des Handlungsspielraums?
Ist er vielleicht schon geschaffen worden? Herr Geißler ist vielleicht kein Mediator. Ein Fuchs ist er allemal.
Ich weiß, meine Ausführungen sind nicht gerade dazu geeignet, irgendwelche Abgrenzungsprobleme von Mediation und anderer Verfahren, zu lösen oder aber herauszufinden, was der Referentenentwurf unter Mediation zu verstehen gedenkt. Aber ich möchte es einmal (ganz mediativ) aus der Sicht des (mediativen Maximalisten), Herrn Geißler sehen:
´Was bleibt mir übrig?´
Nur ein kleiner Hinweis. Morgen ab 09:00 Uhr wird die 5. “Schlichtungsrunde”, wie das Verfahren jetzt von der Voransage genannt wird, auf PHOENIX übertragen.
Das vorläufige “Lotto – Endergebnis” zeigt: Nein, keine Mediation!
Hoffentlich ist man in Bayern schlauer. In München tomatet der Wutbürger vor der CSU – Zentrale http://www.welt.de/politik/deutschland/article13515274/Demonstranten-werfen-Tomaten-und-Eier-auf-Dobrindt.html und MUCt auf wegen der dritten Startbahn (Nord).
An der Wand ein Menetekel: München 25.
Bei Stuttgart 21 soll die Lösung á la Geißler heißen: Kopfbahnhof oben, Durchgangsbahnhof unten, Wappen, oder Zahl, alles klar?
Wie so oft hat eine massive Konfrontation die eigentlichen Inhalte verschwinden lassen: und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag ich Dir den Schädel…!
Das immens teure Bahnprojekt hat zudem eine Opposition an die Regierung gebracht, die jetzt auch nicht weiter weiß.
Wie Bernd Bohnet schreibt, hat Heiner Geißler engagiert zu schlichten versucht, brutalstmöglich um Offenheit gekämpft und die Kontrahenten zu deutlichen Aussagen getrieben. Wie zu erwarten steht jetzt am Ende der bekannte “faule Kompromiss”, den ein Dritter den Parteien vorschlägt.
Die eierlegende Stuttgarter Wollmilchsau scheint in der Tat nicht zu überzeugen, denn mit den oberirdisch verbliebenen Gleisen wird die innerstädtische Freifläche erneut zerschnitten. Eine Fläche, die Stuttgart in seiner beengten Kessellage dringend benötigt.
Hat irgendjemand die Kosten von Schienen und Bauflächen gegengerechnet? Geht das überhaupt? Tappt hier nicht eine aufs Nullsummenspiel ausgerichtete Gesellschaft (fast alles für mich, möglichst wenig für den Gegner) in die eigene Falle?
Mit dem Goebbels Zitat „Wollt Ihr den totalen Krieg“ hatte der CDU Politiker versucht die Unerbittlichen zur Vernunft zu bringen und zaubert flugs ein Appeasement – Karnickel aus dem Hut. Frieden stiften um jeden Preis verdrängt die Suche nach einer konsensualen Lösung.
Bei der Abwägung von Pro + Contra heißt es folgerichtig im Münchner Merkur vom 01.08.2011: „…ein solcher Kompromiss trägt besser zur Befriedung bei, als eine Volksabstimmung“.
Das war vorauszusehen: je komplexer ein Projekt oder Problem, desto weniger können Schlichter, Gutachter oder Richter ein nachhaltiges Endergebnis garantieren.
Das geht nur mit Mediation, aber anders als beim Frankfurter Flughafen oder beim Dresdner Brückenstreit http://www.adr-blog.de/?p=175 mit einer, die den Namen auch verdient.
Lebenswirklichkeit hat nichts mit Rechenkunststückchen zu tun
http://www.welt.de/regionales/berlin/article1660729/Sarrazin_bekommt_Pruegel_fuer_Hartz_IV_Speiseplan.html und von Substitutionsprodukten sollten wir langsam die Nase voll haben!
Ein weiteres interessantes Fundstück zum Thema
http://www.lto.de/de/html/nachrichten/1774/kein-prototyp-fuer-buergerbeteiligung/ zeigt: was zunächst auch von Fachkundigen als sinnvoll erachtet wurde, die “Friedensstiftung”, muss nun kritischer betrachtet werden.
Geißlers “Kompromisslösung” ist weniger “flexible response” im Sinne der Integrierten Mediation, als ein aus der Not geborener Versuch am Ende “Erfolg” haben zu müssen. Unter Umständen entsteht so die nächste Runde im Kampf der oberirdisch Guten gegen die unterirdischen Bösen.
Warten wir´s ab…