In diesem Jahr lösen die beiden Fachmediatoren einen ganz besonders schwierigen Fall. Auch erproben sie ihr neues Marketingkonzept zur Weihnachtsmediation. Es scheint zu funktionieren, denn Sophie bittet sie um Hilfe. Der erste Kunde ist ein Kind. Vile Fragen türmen sich auf. Es kommt zu turbulenten Interpretationen und zur Frage, ob sogar noch die Polizei und das Jugendamt einzuschalten sind. Am Ende jedenfalls löst sich alles in Wohlgefallen auf und Medi & Ator, die Mediatoren aus Leidenschaft, haben wieder etwas hinzugelernt.
„Profis haben es längst bemerkt:
Medi & Ator begegnen Fragen, die jeder Mediator in einer Mediation zu bewältigen hat.“
Medi & Ator die Weihnachtsfriedenstifter
Schon wieder ist ein Jahr vergangen. „Die Zeit vergeht wie im Fluge“, bemerkte Medi als sie noch am letzten Adventssonntag mit Ator über die Weihnachtsvorbereitungen sprach. „Endlich ist es wieder so weit“, fügte sie erwartungsvoll hinzu. „Mal sehen, wie sich unsere Werbung auswirkt. Wir waren ja schließlich nicht untätig“. Tatsächlich kommt Weihnachten in diesem Jahr nicht unvorbereitet auf die selbst ernannten Weihnachtsmediatoren zu. „Das Mediationsgesetz hat sich bezahlt gemacht“, kommentiert Ator. Er fügt erläuternd hinzu: „Die Menschen haben weniger Scheu vor der Mediation“. Er macht eine kleine Denkpause, um ganz leise zu ergänzen: „Hab’ ich gehört“. Tatsächlich haben Medi und Ator fleißig geübt. Sie wollten nichts dem Zufall überlassen und fühlen sich schon viel sicherer in ihren, in Rollenspielen so oft geübten Mediationen. „Gut dass wir zu zweit sind und als Co-Mediatoren auftreten“, sagte Ator. „Dann musst Du nicht so sehr auf die Phasen achten“, stichelte er. Ator schmunzelte als er das sagte. Es sollte ein Witz sein. Aber Medi hat die Kritik durchaus verstanden. In der letzten Peergroup hatte sie tatsächlich einige Probleme, den Übergang in die Phase drei zu finden. Das ist auch nicht einfach. Sie hatte aus einem Interesse ein Thema gemacht und dabei die Struktur verloren. Aber ausgerechnet von Ator musste sie sich so eine Anspielung nicht gefallen lassen. Bei ihm hapert es mit dem Übergang von Phase drei auf Phase vier. Deshalb sagte Medi durchaus etwas säuerlich: „Dann können wir uns ja beide behilflich sein“. Ein Mediator darf auch Gefühle haben und zeigen. So hatte sie es irgendwann einmal gelernt. Wann und wo sie das gelernt hat, das erinnert sie nicht mehr. Aber darauf kam es auch nicht an. Ator zog es vor, nicht weiter auf dieses Thema einzugehen. Die beiden wussten schon, dass sie gut sind. Ator wusste aber auch aus Erfahrung, dass Medi in solchen Dingen keinen Spaß versteht. Er zog es deshalb vor, einzulenken: „Ja, gut dass wir zusammenarbeiten. Gemeinsam entgeht uns nichts und uns kann auch keiner etwas vormachen“. Medi empfand diese Äußerung von Ator sehr empathisch und total zutreffend.
Das Konzept
In diesem Jahr hatten Medi und Ator sich etwas ganz Besonderes ausgedacht. Sie überlegten sich, wie sie denn zu echten Fällen kommen. Wenn die Rechtsverordnung über die Ausbildung in Kraft tritt, dann müssen sie etwa 2 Fälle pro Jahr dokumentieren. Da muss man sich schon was einfallen lassen. „Ist so eine Vorschrift denn überhaupt mit der Unabhängigkeit des Mediators nach § 1 Abs. 2 MediationsG zu vereinbaren?“, fragt Medi mehr an sich gerichtet. Letzten Endes war die Frage obsolet, weshalb Medi auch keinen weiteren Gedanken mehr darin verlor. Medi und Ator gingen davon aus, dass Ihre Bemühungen erfolgreich sein werden und dass sie noch viel mehr Fälle zu bearbeiten hätten. Mindestens das doppelte, haben sie sich ausgemalt. Warum Medi und Ator so an ihren Erfolg glaubten? Die Beiden haben sich eine ausgefeilte Werbung überlegt.
Mit dem Wissen, dass Weihnachten zwar das erklärte Fest des Friedens ist aber auch das Fest der Familienstreitigkeiten, haben sie sich überlegt, dass sie doch als Weihnachtsfriedensstifter auftreten könnten. „Mediatoren als Garanten für den Weihnachtsfrieden. Klingt das nicht gut?“, fragt Ator. „Was wird die Kirche dazu sagen?“, waren Medis Bedenken. „Die hatten mehr als 2000 Jahre Zeit an dem Problem zu arbeiten“, antwortete Ator schroff. „Und was ist das Ergebnis? Nein, da müssen jetzt die Mediatoren an die Front “, fügte er selbstbewusst hinzu. Das mit der Front fiel nicht weiter auf. Allerdings wandte Medi ein: „Aber die können doch ….“. Medi vollendete ihren Satz nicht. Sie zog es vor, die mutige Auffassung Ators einfach mal so stehen zu lassen, auch wenn es etwas kriegerisch klang.
Als ein besonderes Angebot, das sonst sicher niemand vorhalten kann, hatten Medi und Ator es sich überlegt, einen Notdienst einzurichten. Dann könnten Familien, wenn sich Streit auftut, bei ihnen anrufen und die Weihnachtsmediationsprofis kommen zur Hilfe.
Der Erfahrungshintergrund
Medi und Ator fühlten sich auf dem Gebiet der weihnachtlichen Friedensstiftung recht erfahren. In der Peergroup hatten sie darüber nicht geredet und auch keine Fälle ausprobiert. Man muss die Mitbewerber ja nicht auf Ideen bringen. Ihre Erfahrungen hatten sie stattdessen in der eigenen Familie gesammelt. Immerhin hatten sie schon einige Weihnachten überstanden, ohne dass es zu Zusammenbrüchen, unkontrollierten Gefühlsausbrüchen oder gar Trennungen gekommen war. „Erinnerst Du Dich, als Opa Theodor damals versehentlich den Weihnachtsbaum umgeworfen hat und als Oma Mathilde ihn dann beschimpfte und sagte, dass er zu nichts, aber auch zu gar nichts zu gebrauchen sei?“. Ator nickte. Oma Mathilde hatte das „Nichts“ so merkwürdig betont. Daran konnte er sich noch sehr gut erinnern. Medi hatte wohl die gleiche Erinnerung und ergänzte: „Oma Mathilde wusste auch Beispiele anzuführen. Das hatte Opa Theodor gar nicht gefallen. Er hat dann, im Gegenzug, natürlich auch gewusst, was Oma Mathilde alles falsch machen kann. Ein Wort ergab das andere und schließlich zogen sich Opa Theodor und Oma Mathilde in ihre Zimmer zurück“. Medi musste schmunzeln als sie sich daran erinnerte, dass die beiden sich dann das gleiche Weihnachtsprogramm im Fernsehen getrennt anschauten. „Wie gut dass die beiden schon zwei Fernseher hatten. Was meinst Du was sonst passiert wäre? Damals wussten wir auch nicht, dass das, was Du dann gemacht hattest, in Wirklichkeit eine Shuttle-Mediation war“. „Jetzt wo Du es sagst …“ antwortete Medi, die sich gerade sehr wertgeschätzt fühlte, ein wenig nachdenklich. „Ich hatte beiden einen heißen Kakao und Plätzchen gebracht und gesagt, sie sollten doch mal überlegen, ob sich das gut anfühlt, wenn sich so alte Leute an Weihnachten wie die Kinder benehmen, wo doch so schöne Filme im Fernsehen gesendet werden“. Ator fand das Argument mit dem Fernsehen nicht überzeugend. Das war kein Anreiz, denn die alten Herrschaften hatten ja ferngesehen, sogar das gleiche Programm. Aber er fand es gut, wie Medi die beiden auf ihre Haltung angesprochen und in die Pflicht genommen hat. „So benimmt man sich nicht an Weihnachten! Hatte ich ihnen gesagt“, erinnerte sich Medi. „Und dann sagte ich, sie sollten sich schämen so miteinander umzugehen“. Ja, das hatte Wirkung. „Nennt man das nicht Spiegeln, wenn einem die Wahrheit vorgehalten wird?“, fragte Medi Ator etwas verunsichert und dachte dabei an das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. „Ich glaube, das war eine paradoxe Intervention“, wusste Ator Medi zu korrigieren. Diese Korrektur konnte Medi nicht ohne Weiteres hinnehmen. Medi hatte viel mehr Ausbildungsstunden als Ator absolviert. Ator erläuterte, wie er auf seine Schlussfolgerung gekommen war: „Es ist für einen Mediator doch etwas paradox den Medianden Vorhaltungen zu machen!“. Das war ein schlagendes Argument. „Autsch“ dachte Medi. „Ator weiß sooo viel“. Sie bewunderte ihn irgendwie dafür, obwohl sie sich gar nicht erklären konnte, woher Ator das alles weiß. Sie war es doch, die 100 Stunden mehr Ausbildung hatte als er. Natürlich sagte sie ihm das nicht. Den Begriff paradoxe Intervention hatte sie noch nie zuvor gehört. Aber stehen lassen konnte sie die Besserwisserei Ators trotzdem nicht. Nur aus dem Grund erwiderte sie: „Nein ich denke nicht, dass das eine parodoxe Intervention war“. Als sie die paradoxe Intervention erwähnte, klang es irgendwie schnippisch. Medi setzte ein ganz ernsthaftes Bibliothekarinnengesicht auf und führte in einem ganz sachlichen Ton weiter aus: „Ich denke eher, es war paradoxes Spiegeln“. Es schein, als würde sie die Worte jetzt nur noch im vorderen Teil des Mundes ausbilden. Irgendwie wirkte es spitz, wenn man den Tonfall beachtet. Non-verbale Kommunikation war ihr Lieblingsfach. Den Tonfall bemerkte der sensible Ator durchaus. Er wusste allerdings nicht, dass das paradoxe Spiegeln Medi gerade eingefallen war. Es klang sehr gut in ihren Ohren und Medi war stolz auf sich. Immerhin bildete ihr Argument eine Brücke zwischen den Meinungen der beiden und hatte deshalb etwas Mediatives. Ator griff die Idee überraschenderweise sogleich auf: „Ja, paradoxes Spiegeln ist eine tolle Technik“, gaukelte er sein Wissen vor. „Man konfrontiert die Partei mit ihrer eigenen Widersprüchlichkeit“. Wow, das klang gut. Damit konnten beide leben und endlich zum eigentlichen Thema zurückkehren.
Die Geschäftsausstattung
Medi und Ator überlegten sehr genau, wie sie vorgehen werden, falls tatsächlich jemand ihren Weihnachtsfriedenstifternothilfedienst in Anspruch nehmen will. Weil Weihnachtsfriedenstifternothilfedienst so ein langes Wort ist, verwendeten sie selbst das Akronym WFN. Dass die World Federation of Neurology das gleiche Akronym benutzt, sahen sie eher als Vorteil, weil das den Wiedererkennungseffekt erhöht. Auch sahen sie es als eine Unterstützung Ihres Angebotes, wenn die assoziative Brücke von Weihnachten und Nerven hergestellt wird. Natürlich hatten sie es sich auch überlegt, wie man ihr neues Produkt bekannt machen kann. Ator, der schon immer ein besonderes technisches Geschick hatte, installierte auf dem Auto ein Rundlicht. Nein, natürlich nicht in blau, das benutzt doch schon die Polizei. Gelb war ihnen auch nicht geheuer. Das benutzt die Straßenwart. Sie hatten sich auf ein grünes Licht geeinigt.
Grün ist die Farbe der Hoffnung. Das passte gut. Unerschütterliche Hoffnung und Leidenschaft waren nicht nur die wichtigsten Antriebe für Medi und Ator. Die Hoffnung auf den Weihnachtsfrieden sollte auch dem Bedarf des Kunden nahe kommen und ihn darauf ansprechen. Hoffnung spielt da mit rein. Die Farbe grün passte schließlich auch gut zum roten Weihnachtsauto und … war der Weihnachtsbaum nicht auch grün? Ator hatte rechtzeitig begonnen, mit dem Auto durch die Stadt zu fahren. Da haben die Passanten ganz schön gestaunt. Ators Gefährt fiel allen auf – wenn auch niemand sich etwas darunter vorstellen konnte, was WFN ist. Wegen des roten Autos dachten manche, es ginge darum, Weihnachtsbäume zu löschen. Andere vermuteten eine Aktion der Grünen und irgendeine Umweltschutzmaßnahme. Wieder Andere glaubten, es handele sich um ein behördliches Fahrzeug. Sie wussten, dass der Weihnachtsfriede eine inoffizielle Bezeichnung dafür ist, dass die Behörden um die Weihnachtszeit keine belastenden Verwaltungsakte erlassen und dass dieser Brauch in Vergessenheit zu geraten droht, so wie Frieden überall in Vergessenheit zu geraten droht. Man wunderte sich nur, wieso ausgerechnet die Behörden so eine Aktion durchführen. Die hätten ja wohl am wenigsten Interesse an so einem Frieden. So dachten die Passanten.
Medi und Ator schienen einen Volltreffer gelandet zu haben. Werbung muss weder schön, noch stimmig sein. Sie muss Aufmerksamkeit erregen, damit man ins Gespräch kommt und das scheint gelungen. Jeder, der das WFN-Auto sah, hatte sofort eine Idee was die Weihnachtsfriedensstifter sein könnten. Aber niemand wusste was das ist.
Corporate Identity
Ja, Medi und Ator hatten an Alles gedacht und sie hatten durchaus darüber diskutiert, ob ein solcher Auftritt überhaupt zu einem Mediator passt. Letztendlich sagten sie sich aber, dass sie ja schließlich dazu beitragen, die Mediation besser bekannt zu machen. Wenn die Parteien erst mal in der Mediation sind, dann merken sie schon was sie davon haben. Schließlich warben sie obendrein doch auch noch für den Weihnachtsfrieden. Was will man denn mehr? Ator hatte sich detailverliebt noch etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Man wollte die Menschen ja schließlich zum Nachdenken bringen. Wenn er schnell fuhr, dann drehte sich dass Rundlicht schneller. Fuhr er langsam, dann drehte es sich dementsprechend langsamer. Weil die Mediation entschleunigt, nahm er sich vor, gaaanz langsam durch die Straßen der Stadt zu fahren. Je mehr Entschleunigung, desto besser, hat er mal irgendwo aufgeschnappt. Jetzt glaubte er, dass eine Entschleunigung des Verkehrs nicht nur eine gute Assoziation zur Mediation sei, sondern auch ein Beitrag zur Weltsicherheit. Mediatoren wie Medi und Ator haben immer das Wohl der Anderen im Sinn. Ator konnte es nicht wirklich verstehen, dass sich einige Autofahrer provoziert fühlten. Manche wurden sogar aggressiv. Sie hatten gehupt und ihn beschimpft. Aber so ist das mit der Mediation. Das kann Ator inzwischen aushalten. Hier ging es um die Sache und die ist höherwertiger als die Eile einiger Hektiker und Neurotiker. Da müssen persönliche Interessen hintan gestellt werden. 20 km/h in der Ortschaft ist doch schnell genug!
Auf der Karosserie wurde die Aufschrift angebracht: „Medi & Ator, WFN – Weihnachtsmediatoren stiften Weihnachtsfrieden“. Sie waren stolz auf den Slogan, den sie sich lange überlegt hatten. Er lautete: „Keine Angst vor Weihnachten, denn die Weihnachtsmediatoren sind stets zur Stelle. Rufen Sie an und der Weihnachtsfriede ist gesichert “. Medi war noch immer unsicher, ob eine solche Werbung Mediatoren zustehen mag. Aber Ator hatte gar nicht daran gedacht, dass Mediatoren ergebnisoffen sein sollten und deshalb kein Ergebnis versprechen können und eigentlich auch nichts garantieren dürfen. Er glaubte deshalb, Medi spielte mit ihren Bedenken lediglich auf ihre Phasenschwäche an. Da konnte er sie leicht beschwichtigten: „Mach Dir keinen Kopf. Das machen wir schon, denk nur an Opa Theodor und Oma Mathilde“. Das war überzeugend.
Um wirklich stilecht zu sein, und um zur Vollendung der neu definierten Corporate Identity der WFN beizutragen, hatten sie sich noch ein grünes Telefon angeschafft. Wenn das klingelte, dann war ein Kunde dran. Dann wussten beide, wie sie sich zu melden haben. Den Anrufbeantworter besprachen sie bereits, beide gleichzeitig im Chor im zärtlichen Singsang: „Hier ist der WFN. Sie sprechen mit Medi & Ator. Wir sind Weihnachtsmediatoren mit Zertifikat. Gerne verhelfen wir auch Ihnen zum weihnachtlichen Frieden. Bitte nennen Sie uns ihr Anliegen, Ihren Namen und die Anschrift nach dem Biep. Wir, die Weihnachtsmediatoren, sind sofort zur Stelle!“. Den Biep hatten sie nach einem kurzen Jingle von Stille Nacht, Heilige Nacht eingearbeitet. Ja, man achtete auf jedes Detail, denn Authentizität, so haben beide im Mediationskurs gelernt, ist ganz wichtig.
Der Ernstfall
Heilig Abend verlief ganz ruhig. Niemand rief an. Medi und Ator waren nicht ganz unglücklich darüber, denn so konnten auch sie Weihnachten feiern. Der Abend vernahm den geplanten friedlichen Verlauf. Um den nicht zu gefährden, und um sich mental auf schwierige Mediationen vorzubereiten, hatten sie sich das Schweigespiel überlegt. Kritische Themen wurden ausgeklammert und man war bemüht, gar nichts miteinander zu reden. Man durfte das Schweigen nur brechen, wenn man die Ansage mit einer Wertschätzung begann. „So lernen wir zwei wichtige Techniken“, hatten sich Medi und Ator überlegt, immer auf der Suche nach Wegen, wie sie ihre Mediationskompetenz optimieren können. Sie redeten wenig miteinander. So viele Wertschätzungen fallen einem gar nicht ein – in so einer Prüfungssituation.
Natürlich gab es auch eine Bescherung. Medi hatte Ator ein zusammenklappbares Flipchart geschenkt. Das war vielleicht nicht ganz uneigennützig aber in jedem Fall gut und notwendig für den geplanten mobilen Einsatz. Ihre gute Absicht war es auch, Ator zu entlasten. Denn der hätte sonst immer das schwere unhandliche Flipchart transportieren müssen. Damit das Geschenk nicht so ganz unpersönlich wirkte, schrieb Medi auf die erste Seite des Flipcharts einen persönlich anmutenden Text: „Alles Gute zu Weihnachten, mein lieber Ator, möge das Flipchart die Konflikte der Parteien an sich binden und nicht an Dich herankommen lassen“. Ator hatte eine ähnliche Idee. Er schenkte Medi einen Moderationskoffer. Nicht irgendeinen; dieser hatte ganz viele Wölkchen und Sprechblasen in allen Farben. Er wusste, dass Medi so etwas mag und gerne in ihren Mediationen einsetzt. „Das Auge streitet mit“, pflegte sie zu sagen. Auch er malte einen Gruß auf das erste Wölkchen, was ins Auge fiel, sobald der Koffer geöffnet wurde. „Frohe Weihnachten“ stand darauf, „mögen die Wolken den Himmel der Parteien verhängen, damit mehr Sonne für Dich scheinen kann“. „Ein Beitrag zur Psychohygiene“, dachte Ator, der immer einen wissenschaftlichen Bezug herstellen konnte, wenn es um die Mediation ging.
Am ersten Weihnachtstag war es so weit. Das grüne Telefon klingelte. Zunächst wollten Medi & Ator das gar nicht für möglich halten. „Klingelt da etwa das WFN-Telefon?“ fragte Ator ungläubig. Medi bestätigte und dann schaute man sich an, wer denn wohl dran ginge. Sie hielten es für geschickt, nicht sofort an den Apparat zu gehen. So ließen sie es genau 5x klingeln; so oft, wie die Mediation Phasen hat. Darüber waren sich beide schon bewusst. Sie sahen darin ein gutes Omen. Noch drei Klingeltöne warteten sie vor dem Telefon ab. Sie starrten wie gebannt auf das Gerät, was ihnen den ersten Auftrag für dieses Jahr einbringen sollte. Exakt mit dem 5. Klingeln stürzte sich Ator auf den Hörer und hob ab.
Akquise und Vorphase
Am Telefon war eine aufgeregte Kinderstimme. „Ich bin die Sophie“ quälte sich das Mädchen ab. „Ihr könnt doch machen, dass die Eltern sich nicht mehr streiten müssen?“, fragte sie beschwörend. Wer kann da nein sagen? Ator gab den Hörer vorsichtshalber an Medi. Frauen können besser mit Mädchen reden dachte er sich. Er war ganz froh, dass Medi das Gespräch übernahm. „Ja wo brennt’s denn?“ fragte Medi mit ihrer einfühlsamen weiblichen Stimme. „Meine Eltern streiten die ganze Zeit und jetzt hab ich Angst, dass der Weihnachtsmann nicht zu uns kommt. Der geht doch nicht in Häuser wo gestritten wird hat meine Lehrerein, die Frau Siefert, gesagt. Gestern war er auch schon nicht da!“. „Dir sind Deine Weihnachtsgeschenke wichtig“, loopte Medi. Jetzt machten sich die Peergroups bemerkbar, wo sie gelernt hat Ich-Botschaften herauszuhören. Ator war begeistert, wie schnell Medi die Dinge auf den Punkt bringen kann, auch wenn die Weihnachtsgeschenke seines Erachtens nach doch wohl eher eine Lösung darstellten. „Ja“, sagte Sophie, „der Weihnachtsmann soll mir ein Schwesterchen bringen, das hat der mir letztes Jahr versprochen“. Medi zeichnete schon im Kopf die Konfliktlandkarte. Da ist die Sophie, die Eltern, die offenbar streiten, der Weihnachtsmann mit unseriösen Versprechungen und ein nicht geborenes Schwesterchen. Medi sah sich schon für das Schwesterchen einen leeren Stuhl aufstellen … Aber so weit waren wir ja noch nicht. In jedem Fall war das ein Fall für Mediation: Es geht darum, Frieden zu stiften, subsummierte Medi. Ganz sicher ist es auch ein Fall für eine Co-Mediation, dachte sie bei sich, und ein Fall für die Weihnachtsmediatoren, vollendete sie den Gedanken, um ihn auch gleich Sophie mitzuteilen. „Wo wohnst Du denn?“ fragte Medi und Ator kalkulierte sofort die Anfahrkosten. Ob Sophie sich das Honorar überhaupt leisten kann? Das war die Richtung, in die Ator dachte. „Ich wohne im Kinderzimmer und die Mama wohnt im Schlafzimmer der Papa wohnt im Wohnzimmer“. „Ein Wohnungskonflikt also“ dachte sich Medi die Konflikthypothese weiter aus. „Das arme Kind“, dachte Medi als Ausdruck ihrer Empathie. Also haben wir noch einen Kindkonflikt. „Weißt Du was?“, fragte sie Sophie, ohne deren Antwort abzuwarten. „Wir kommen und retten Dich und dann kann der Weihnachtsmann auch sein Versprechen einlösen, das er Dir gegeben hat“. Medi war stolz auf ihr Einfühlungsvermögen. Sie hatte Empathie schon immer sehr wörtlich genommen und als Mitleiden begriffen. Ator war da realistischer und erkannte, dass selbst bei bestem Willen und größter Selbstüberschätzung der Weihnachtsmann kein Schwesterchen schenken kann. Er fand Medis Zusage deshalb etwas vorgreifend. Sophie erklärte noch wo sie wohnt und dann legten sie auf.
„Du hast nicht über unser Honorar gesprochen!“ kritisierte Ator als Erstes. „Dann telefonier Du doch nächstens. Wir können das arme Kind doch nicht im Stich lassen“. „Du wärst besser Sozialarbeiterin geworden“, warf ihr Ator vor. „Mediation ist ein Geschäft und wir sein keine Heilsarmee“, raunte er noch. Aber was sollte er tun? Immerhin war Sophie ihre erste Kundschaft in diesem Jahr. Zusammen mit der Mediation im Vorjahr schaffen sie dann die zwei vorgeschriebenen Fälle, damit sie sich zertifizierter Mediator nennen können. Sie müssen die eine Mediation nur ein bisschen vordatieren. Dann passt es schon. „Wenigstens das“, beruhigte sich Ator. Also machte man sich auf den Weg. „Haben wir alles?“ fragte Medi. „Wir haben das tolle neue Flipchart, den tollen neuen Moderationskoffer mit 10 Wölkchen darin, wir haben Stifte und Papier, wir haben Plätzchen eingepackt und eine Thermokanne Kaffee. Man weiß ja nie“, sagte Ator. „Brauchen wir sonst noch was?“ Medi und Ator überlegten lange. Ihnen fiel außer Taschentüchern aber nichts mehr ein.
Phase 0, 1 …?…
Am Zielort angekommen, klingelte Medi. Eine männliche Stimme schrie ihr durch die Sprechanlage ins Ohr: „Wer schon wieder? … Ruhe endlich!“. Medi erweiterte sofort ihre Konflikthypothese: Ein aggressiver Mann, ungeduldig, kinderfeindlich, spricht kein gutes Deutsch … Er hatte einen östlichen Akzent. Vielleicht ein Ausländer … Jetzt ging den beiden Mediatoren alles durch den Kopf, was sie je gelernt haben: „Ist das jetzt eine interkulturelle Mediation, eine internationale oder eine Cross Border Mediation? Ist es eine Cross-Border-Familienmediation oder etwa eine Cross-Border-Familien-Weihnachtsmediation?“, fragte Medi. „Wenn das ein Russe ist, kann man den denn überhaupt mediieren? Dürfen wir das?“. „Nirgends steht, dass das verboten ist“, sagte Ator und fügt hinzu: „Und Russen sind auch nur Menschen. Und das ist Weihnachtsmediation, basta. Wir haben aber ein anderes Problem“, führte er fort. „So, ein anderes Problem?“ fragte Medi neugierig. „Ja“, führte Ator aus: „Ist das jetzt ein Einzelgespräch? Dann müssen wir doch erst die Zustimmung von der Gegenseite einholen. Das steht so im neuen Mediationsgesetz. Einzelgespräche sind nur im Einvernehmen möglich“. „Wie soll das denn gehen?“, fragte Medi, das ist doch Unsinn. „Es steht im Gesetz“, beharrte Ator. „Und was im Gesetz steht ist kein Unsinn. Einzelgespräche dürfen nur im Einverständnis aller stattfinden“. „Aber dazu müssen wir doch erst mal in die Wohnung kommen“, raunte Medi ungeduldig. „Und wie willst Du das Schwesterchen zu einem Einverständnis bewegen, bitteschön? Das ist doch noch gar nicht geboren!“. Medi wusste gar nicht, dass Ator so ein Erbsenzähler ist. Sie machen doch Mediation und das ist alles andere als Erbsenzählen. Für Medi war das mit dem Einzelgespräch kein Problem, sie sah die Notwendigkeit, dem Kind zu helfen. Da war ihr Mutterinstinkt angesprochen. So etwas hat Ator doch gar nicht. Wahrscheinlich war das der Grund, warum er jetzt auch noch fragte: „Wer ist denn unser Auftraggeber, etwa ein Kind? Geht das denn überhaupt?“. In Ator kommen mehr und mehr Bedenken auf. „Ich hab Dir gesagt, dass wir ohne Honorarvereinbarung hier nicht herkommen sollten. Jetzt sieh mal zu wie Du das hinkriegst“. „Echte Co-Mediation!“, kritisierte Medi, um sich dann sofort dem rüden Mann an der Sprechanlage wieder zuzuwenden. „Sie müssen uns die Tür aufmachen“, sagte sie. Wir sind nicht schweigepflichtig, wenn es darum geht, ein Kind zu beschützen. Das steht im Mediationsgesetz. Wir können sogar das Jugendamt einschalten!“, sagte Medi bestimmt. Sie hatte eine derart feste Stimme, dass der Mann an der Sprechanlage gar nicht anders konnte, als die Tür zu öffnen. Er hat nur Gesetz und Jugendamt verstanden. Das genügte für seine Entscheidungsfindung. „Warten!“ schrie er – die Verbindung war unterbrochen.
Von der Vor – zur Vollstreckungsphase
Medi & Ator warteten etwa 5 Minuten. Eine gefühlte Ewigkeit, aber Zeit genug, ihre Gedanken zu ordnen. „Wir müssen die Polizei alarmieren. Oder müssen wir das Jugendamt anrufen oder gar beides?“ Ator wollte keinen Stress, zumal die Honorarfrage bis jetzt noch völlig ungeklärt war. Das Jugendamt käme bestimmt nicht für ihre Kosten auf. „Lass und die Sache nochmal durchgehen“, schlug Medi vor. „Da ist Sophie. Sie hat einen Wohnungskonflikt mit den Eltern und es gibt einen Kindkonflikt. Dann ist da der brutale Vater. Der hat einen Konflikt mit seiner Frau, sonst würden die nicht in verschiedenen Zimmern wohnen. Wahrscheinlich also auch noch ein Ehekonflikt und vielleicht auch noch ein Russenkonflikt. Das ist ein multiphänomenaler Konflikt mit 3 Parteien“. Bevor Medi ausgeredet hat ergänzt Ator: „Ja und dann ist da noch der Weihnachtsmann, der sich offenbar mit dem Vater verkracht hat und unseriöse Versprechungen macht“. Ator wollte schon immer einmal Staatsanwalt werden. Dass er jetzt Mediationen macht, liegt einzig und allein an Medi, die so eine soziale Ader besaß. Sie hatte dann irgendwann mal Mediation gelernt und Ator war aus Sympathie mitgegangen. Im Moment war er mit der sozialen Ader Medis gar nicht einverstanden. Seiner Meinung nach waren die Leute weder mediations- noch zahlungsfähig. Was sollte er also hier? Rein zu Übungszwecken und um Medi auf die Sprünge zu helfen, fasste er zusammen: „Wir haben es mit kaskadierenden Konflikten zu tun, an dem mehrere Personen beteiligt sind. Das ist typisch für Weihnachtskonflikte“, resümierte er. „Der Konflikt ist recht hoch eskaliert mit Gewaltanteilen“. In dem Moment wo er das sagte, schöpfte er wieder Hoffnung: „Hatten wir nicht gelernt, dass eine Mediation bei Gewaltgefällen unzulässig ist?“, fragte er Medi. Medi korrigierte: „Das waren Machtgefälle“. „Na und? Die haben wir hier ja wohl auch“, insistierte Ator, um hinzuzufügen: „Machtgefälle mit Gewalt. Ich glaube auch, dass wir die Polizei anrufen müssen und wir dürfen die Mediation gar nicht durchführen“. „Steht das im Gesetz?“, fragte Medi ungläubig. „Nein antwortete Ator aber das haben wir doch gelernt!“. „Hmmm …“, wurde jetzt auch Medi unsicher. Sie schwankte zischen Kindesschutz und dem Wunsch, keine Fehler machen zu wollen. Medi und Ator waren jetzt wirklich verunsichert. „Das ist kein Fall für die Mediation“, konstatierte Ator schließlich und fügte hinzu: „und bezahlen wird auch keiner“, was seine Argumentation ebenso wie die Aussichtslosigkeit seines Unterfangens noch deutlicher herausstellen sollte. Während die Beiden immer nachdenklicher wurden, öffnete sich die Tür. Ein etwa 1.94 m großer, schwer gebauter Mann trat heraus und fragte: „Was wollen?“. „Also doch eine Cross Border Mediation“, dachte Ator. Er stand dem Mann, der etwa einen Kopf größer war als er und deutlich kräftiger gebaut gegenüber. Wäre Medi nicht dabei gewesen, Ator hätte sich wahrscheinlich in dem Moment französisch verabschiedet. Er wäre grußlos gegangen. So musste er Flagge zeigen. Was sollte Medi sonst von ihm denken?
Ator kam es gar nicht mehr darauf an, eine Weihnachtsmediation durchzuführen. Die Weihnachtsstimmung war ihm längt vergangen und das mit dem Notdienst entpuppte sich auch als eine blöde Idee. Er überlegte nur noch, wie er sich aus der Affäre ziehen kann. Medi war tapferer – der Mutterinstinkt kam wieder auf und sie sah Sophie vor Augen, die sie übrigens noch nie gesehen hatte. Aber das braucht eine Mutter nicht und eine Mediatorin schon gar nicht. „Die spürt das“, war sich Medi bewusst. Also übernahm sie das Wort. „Ihre Tochter – Sophie ist doch Ihre Tochter nicht wahr?“ Medi unterbrach, um sich zu vergewissern. „Ja und?“, sagte der schwergewichtige Mann, „Was mit Sophie?“. „Nun“, fuhr Medi fort, „sie hatte uns angerufen und um Hilfe gebeten. Es war schon mehr als ein Gesuch um Hilfe. Sie sucht Schutz gegen ihren Vater, der sie bedroht“. Nun war es raus. Ator war neugierig, wie der Angeklagte reagieren würde. Ganz besonders achtete er jetzt auf die Körpersprache. Der Mann hatte die Arme verschränkt. „Aha“, dachte Ator, „das passt ins Bild. Er macht dicht und will sich schützen oder ist das Aggression?“ Die Reaktion des Mannes irritierte Ator ein wenig. Denn der wurde ganz ruhig. Das passt nicht wirklich zur Aggression. Trotzdem wusste Ator, dass sich sein Verdacht verhärtete. Da brauchte er keine weiteren Hypothesen zu bilden und eine Mediatorenausbildung braucht man auch nicht, um das zu erkennen. Da genügt der gesunde Menschenverstand. Der Fall ist eindeutig. „Der hat was zu verbergen“, flüsterte Ator Medi zu. Ein messerscharfer Schluss. „Kommen rein erstmal“, sagte der Mann, der aussah wie Klitschko.
Das phasenübergreifende Gespräch
Der Mann, Medi und Ator betraten die Wohnung. Tatsächlich konnte man sehen, dass jemand auf der Couch geschlafen hatte. Sophie hatte also Recht. „Wo ist Sophie?“ fragte Medi. „Nachbarn geschickt“, antwortete der Mann noch immer unwirsch. Medis Verdacht verstärkte sich mehr und mehr. „Wo ist Ihre Frau?“ fragte sie. „Arbeiten“, antwortete der Klitschkoersatz. „Das ist eine Lüge“, wussten Medi und Ator, An Weihnachten arbeitet man nicht. Und wieso schläft der auf der Couch statt im Bett. „Wir überlegen, ob wir die Polizei oder das Jugendamt anrufen müssen“, preschte Medi vor. „Ich unschuldig“, sagte Klitschko und fragte ebenso verunsichert wie neugierig und abweisend: „Was Problem?“. Der große Mann wusste nicht richtig, wie er Medi und Ator einschätzen sollte. Er hatte das WFN-Auto gesehen, das wie ein Behördenfahrzeug anmutete. Als Ausländer will man mit Behörden keinen Stress. Am Besten, man hat mit denen erst gar nichts zu tun. Deshalb antwortete der Mann auf alle Fragen; und da waren einige: „Warum darf Sophie nicht Weihnachten feiern? Warum schlafen Sie auf der Couch? Warum sind Ihre Frau und das Kind an Weihnachten nicht zu Hause?“. Ator bewunderte Medis Fragetechnik. Ihre Fragen kamen wie aus der Pistole geschossen. Deshalb flankierte er: „Wir sind die Weihnachtsfriedenstifter. Wir helfen Ihnen Weihnachten zu feiern und sich zu vertragen!“. Ator war kaum zu halten. Nur einen kurzen Moment dachte Medi daran, dass eine Mediation am Besten im Gespräch mit allen Beteiligten stattfinden sollte. Aber erstens war es kaum möglich, den Weihnachtsmann und schon gar nicht das Schwesterchen herzubestellen und zweitens ging es hier um Wichtigeres. Es war ihr auch ganz recht, dass die anderen nicht anwesend waren. Das macht die Sache einfacher. Der Kiltschkoersatz klärte die Situation, indem er alle Fragen beantwortete. Ator nahm sich vor, die Befragungstechnik in der nächsten Peergroup näher einzustudieren. Es schein ihm, als wiche sie von dem ab was sie gelernt hatten. Aber die Wirkung war frappierend. „Meine Frau arbeiten im Restaurant. Ich schlafe auf Couch weil auch arbeiten. Spät nach Hause. Wollte Frau nicht wecken. Weihnachten wir feiern erst am 7.1. Das ist Julianischer Kalender, so in Russland. Wir deshalb Arbeit angenommen und nächste Woche nach Heimat. Sophie traurig, weil alle Weihnachten aber sie nicht. Versteht nicht, dass später feiern. Sie klein, oft allein. Wir deshalb noch ein Kind wollen. Aber später, wenn mehr Geld. Sophie zu Nachbarkind, damit nicht alleine …“. Je mehr der nette Russe in gebrochenem Deutsch erzählte, desto nachdenklicher wurden Medi und Ator. Bei allem vergaßen sie aber nicht ihren Auftrag, Weihnachtsfrieden zu stiften. Aber wie geht das, wenn für die Medianden Weihnachten erst 2 Wochen später beginnt. Das hatten sie nicht bedacht. Wer kommt denn auch schon auf so was? Medi macht den Loop ihres Lebens: „Verstehe ich Sie richtig, Sie sind russischer Herkunft. In Russland wird Weihnachten erst später gefeiert, Sie werden Weihnachten in Ihrer Heimat feiern. Ihre Frau und Sie arbeiten in unterschiedlichen Schichten, deshalb schlafen Sie in verschiedenen Zimmern, um auf sich Rücksicht zu nehmen. Sophie sieht die anderen Kinder Weihnachten feiern und fragt sich, warum Sie nicht Weihnachten mit ihr feiern. Darüber bekamen Sie Streit. Sie haben Sophie zu Nachbarn geschickt, damit sie in weihnachtliche Stimmung kommt. Sie haben Mitgefühl, weil Sophie oft alleine ist, wenn Sie beide arbeiten müssen. Sie planen deshalb die Familie zu erweitern. Habe ich das richtig verstanden?“ „Ja antwortete der Mann, „das alles richtig. Jetzt Polizei rufen“. Ator gewann sicheres Terrain. „Dazu besteht kein Anlass“, sagte er. Wir haben uns davon überzeugt, dass Sie zum Frieden fähig sind und Weihnachten achten. Ich denke nicht, dass wir darüber eine Abschlussvereinbarung formulieren müssen. Oder meinen Sie, wir sollten auch mit Ihrer Frau sprechen und mit Sophie?“. „Sie erst zurück in 3 Stunden“, sagte der einfühlsame, friedliche Mann. Das war ein überzeugendes Argument. Medi und Ator vertrauten ihrer Professionalität. Der Mann wirkte authentisch. Auf seine Art sogar empathisch. Da ist kein weiterer Handlungsbedarf. Medi und Ator beschließen, sich zu verabschieden. Ator zog es vor, die Honorarfrage nicht anzusprechen, zumal der Mann ja bisher nicht der Auftraggeber war. „Wo war eigentlich die Phase eins?“, überlegte Ator kurz. Er konnte sich die Antwort selbst herleiten. Die Mediation ist sozusagen im Pre-Stadium stecken geblieben und hat sich gelöst, bevor es zum streitigen Gespräch gekommen war. „Also doch alles ok“, dachte er bei sich. Medi und Ator verabschiedeten sich. „Sollen wir frohe Weihnachten wünschen?“, fragten sie noch. „Ja“, lachte der freundliche Ausländer, „nehme mit nach Russland“.
Die Qualitätskontrolle
Zu Hause angekommen reflektierten die beiden Weihnachtsmediatoren den Fall. „Eigentlich war es gut gelaufen“, meinte Ator. Medi schaute ihn etwas verstört an. „Im Ergebnis ist der Weihnachtsfrieden hergestellt“, erklärte Ator und fuhr weiter aus: „Die Mediation war also erfolgreich. Einer Abschlussvereinbarung bedurfte es nicht, weil die Mediation sich sozusagen im Vorbereitungsstadium schon erledigt hat. Das war möglich, weil wir so gut recherchiert haben. Stell Dir vor, wir hätten ohne Recherche die Polizei angerufen. Was wir auch geschafft haben ist, dass Weihnachten und Frieden in dieser Familie jetzt noch eine höhere Bewusstseinsform gefunden haben. Wir können stolz auf uns sein. Und das gesteigerte Friedensbewusstsein nehmen die noch mit nach Russland. So gesehen war die Mediation sogar eine internationale Friedensmission. Wir sollten mal darüber nachdenken, ob wir unseren Geschäftsbereich nicht dementsprechend ausbauen. Den Fall können wir als Dokumentation zählen. Insoweit haben wir also auch etwas erreicht. Nur das mit dem Honorar, das müssen wir in Zukunft anders machen“.
Medi wusste noch nicht so recht, ob sie Allem zustimmen sollte. In dem Moment klingelte das Telefon. Die beiden vergaßen ganz, das 5-malige Klingeln abzuwarten. Medi hob den Hörer sofort ab; immer noch etwas verunsichert. Am anderen Ende der Leitung war Sophie. „Sophie hier“, sagte sie. „Ja bitte?“, antwortete Medi zögerlich, gespannt auf das was jetzt kommen mag und bereit, dem Kind die Leviten zu lesen. „Mein Papa hat gesagt, dass Sie da waren. Er hat sich gefreut, dass man sich so sehr um mich kümmert und mich beschützen will. Ich glaube, es ist ihm wichtig, dass ich zufrieden bin. Und ich freu mich auf mein Schwesterchen. Mein Papa hat mir gesagt, dass der Weihnachtsmann gar nicht dafür zuständig ist. Das muss er irgendwie mit Mama machen. Wie hat er aber nicht gesagt. Der Weihnachtsmann kommt später zu mir, hat er mir jetzt auch erklärt. Mein Papa hat gesagt, wir fahren ihm entgegen. Danke. Wir fahren in zwei Wochen nach wo mein Vater geboren wurde und besuchen die Oma. Dann feiern wir Weihnachten, Ihr aber nicht“.
„Wenn das kein Erfolg auf der ganzen Linie ist?“, waren sich jetzt Medi und Ator einig. Und sie waren stolz darauf, dass sie Mediatoren sind. Es gibt doch nichts schöneres auf der Welt als Anderen Frieden und Zufriedenheit zu bringen. Medi und Ator schwelgten noch den ganzen Abend in diesem Gefühl und freuen sich auf den nächsten Fall.
Altenkirchen am 23.12.2014
Arthur Trossen
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