Juristen brauchen eine Gehirnwäsche, wenn sie Mediatoren werden wollen. Diesem falschen Mythos bin ich schon wieder einmal begegnet. Erstaunlich ist, dass diese Aussage von Juristen kommt. Solche, die eine Mediatorenausbildung gemacht haben und die die Mediation als etwas völlig Anderes erfahren. Die Aussage wird bei genauerem Hinsehen aber weder der Mediation noch der juristischen Arbeit gerecht.
Zunächst ist schon die Verwendung des Begriffs Gehirnwäsche kein solcher, den ein Mediator verwenden sollte. Wikipedia definiert die Gehirnwäsche wie folgt:
Gehirnwäsche ist ein Konzept zu sogenannter psychologischer Manipulation. Ältere psychologische Theorien vermuteten, dass Gehirnwäschen Wertevorstellungen und Selbstauffassung einer Person nach bestimmten Zielsetzungen ändern könnten. Dabei wurde vermutet, dass in seltenen Fällen eine Vertrauensbasis zwischen dem Manipulator und der zu manipulierenden Person entstünde, während der weit überwiegende Teil der Gehirnwäsche-Methoden darauf beruhe, den psychischen Widerstand mit gewaltsamer Einwirkung zu brechen. Theorien der Gehirnwäsche entstanden zunächst im Zusammenhang mit totalitären Staaten. Später wurden sie vereinzelt auch auf religiöse Gruppen angewandt.
Die Frage ist also: Müssen Juristen psychologisch manipuliert werden, damit sie die Mediation professionell durchführen können? Und was ist mit den anderen Berufen, brauchen Sie keine Manipulation?
Zunächst sollte das harte Wort der Gehirnwäsche entschärft werden. Was wollen uns die Kollegen damit eigentlich sagen?
Tatsache ist, dass die Mediation (etwas) anders läuft als ein Gerichtsverfahren und eine juristische Beratung. Das hat nichts mit Werten zu tun und ist auch nicht ethisch bedingt. Dahinter verbergen sich strategische und konditionelle Anlässe, die zum gelingen einer Mediation erforderlich sind. Richtig ist deshalb, dass ein ausschließlich juristisches Denken in der Mediation hinderlich sein kann. Dazu ein Beispiel:
Eine Ehepaar soll nach der Trennung die Vermögensteilung durchführen. Ohne Kenntnis des Gesetzes entwickeln sie ein individuelles Gerechtigkeitsmodell. Wenn dieses individuelle Gerechtigskeitsmodell z.B. keinen Abzug von Erbschaften und ASnfangsvermögen vorgesehen hat, liegt eine eklatante Abweichung vom Gesetz vor. Das Recht würde eine solche regel durchaus erlauben, weil es dispositiv ist. Das Gesetz, welches dann zur Anwendung kommt, wenn die Parteien keine andere Lösung entwickeln, käme aber zu anderen Ergebnissen. Die Parteien würden in der Mediation in der WATNA/BATNA Phase mit der Differenz konfrontiert werden und können sich nun aktiv für oder gegen das ein oder andere Modell entscheiden. Haben die Parteien die juristische Regel zuvor bereits gekannt oder in ihr Kalkül einbezogen, sind sie oft daran gehindert, ein eigenes individuelles Gerechtigkeitsmodell zu entwickeln, weil sie mit der gesetzlichen Vorgabe schon auf ein bestimmtes, vorgegebenes Modell fokussiert sind.
Das Beispiel zeigt, dass die Anwendung des Gesetzes Einfluss nimmt auf das Ergebnis. Die Anwendung von Gesetzen ist aber zu unterscheiden vom juristischen Denken. Juristisches Denken wird ja auch bei der Gestaltung von Verträgen eingesetzt. Es kann dispositives Recht ausschöpfen und individuelle Regeln gestalten und absichern helfen. Genau das geschieht ja auch in der Mediation. Das Ergebnis der Mediation ist ein Vertrag, mithin ein rechtsgestaltender Akt.
Überflüssig ist das juristische Denken also in keinem Fall. Verdrängen muss man es auch nicht, im Gegenteil! Juristisches Denken hat einen Platz in der Mediation. Um dies zu verstehen, muss man sich zunächst im Klaren darüber sein, was juristisches Denken überhaupt bedeutet.
Die Mediation ist interdisziplinär
Dass die Mediation ein interdisziplinär geprägtes Verfahren ist, ist unumstritten. Hier kommen Aspekte der Rechtswissenschaft, der Psychologie, der Soziologie, der Pädagogik, der Philosophie zur Geltung. Das juristische Denken zu verdrängen würde also bedeuten, die Interdisziplinarität zu verhindern. Beides kommt in der Mediation vor. Wie, lässt sich am besten mit einem Witz beschreiben:
Ein Betrunkener sucht den verlorenen Schlüssel unter dem Lichtkegel einer Straßenlaterne. Ein vorbeikommender Passant bemerkt, dass der Betrunkene dort schon sehr lange ergebnislos agiert. Er fragt den Betrunkenen also wo er den Schlüssel denn genau verloren habe. Der antwortet: dort hinten im Gebüsch. Auf die Frage, warum er dann hier unter der Laterne suche, antwortete der Betrunkene: „Dort ist kein Licht“.
Wenn Sie die Suche unter der Laterne als eine Metapher für das jurtistische Denken verstehen, kommen wir dem Phänomen etwas näher. Im Licht lässt es sich leichter Suchen. Leider hat dort niemand etwas verloren. Das Suchen im dunklen Busch entspricht dem psychologischen Denken und der Funktionsweise unseres Gehirns. Das Gehirn arbeitet eher assoziativ, nicht stringent logisch. Logisches Denken ist nachvollziehbar und schlüssig. Aber nicht unbedingt kreativ und auf die individuellen Prägungen des Menschen eingehend. Das psychologische (assoziative, chaotische) Denken kommt in der Phase drei zur Geltung und besonders dann, wenn Sie transformativ arbeiten (siehe Magic of Mediation als Beispiel). Das bedeutet aber nicht, dass das juristische, also das linear und stringent logische Denken in der Mediation überflüssig ist. Das brauchen wir in den Phasen zwei, (Ende) vier und fünf. Hier müssen die Positionen registriert und die Lösungen auch juristisch bewertet werden und auf ihre Schlüssigkeit hin untersucht werden. Anders ist jetzt, dass die Lösung sich nicht aus dem juristischen Denken ergibt, sondern dass das juristische denken erst in einem zweiten Schritt herangezogen wird, um die gefundene Lösung zu bewerten und abzusichern.
Wie nehmen also – um auf die Metapher des Betrunkenen zurückzukommen – das im dunklen Busch gefundene Fundstück unter die Laterne, um zu sehen, ob es wertig und durchführbar ist.
Dialektik statt Logik
Es gibt noch einen Unterschied im Denken. Das hat aber weniger mit juristischem als mit strategischem Denken zu tun. Das Denken im Gerichtsprozess ist das Denken in einem Nullsummenspiel. Was der Eine gewinnt, verliert der Andere. Es ist ein Entweder-oder-denken. In der Mediation befinden wir uns aber in einem Positivsummenspiel (kooperativer Wettbewerb). Hier dominiert ein Sowohl-als-auch-denken, das ein dialektisches Denken ist.
Integrierte Mediation
Die integrierte Mediation sieht die Mediation unter dem Aspekt der in der Mediation sequenziell zu kombinierenden unterschiedlichen Denkprozesse und kann sie abrufen. Dieses, tiefer gehende Verständnis von dem, was die Mediation funktionell ausmacht erlaubt einen größeren Radius und eine weitergehende Anwendung der Kompetenzen der Mediation. Die integrierte Mediation schließt Denken nicht aus, sie integriert es, erkennt die Ressourcen und stellt Synergien her. Das ist einer der Gründe, warum der integrierte Mediator die Mediation eher systemisch als mechanistisch begreift und warum der integrierte Mediatiator die Mediation nicht nur als ein mehr und mehr formalisisertes Verfahren, sondern als einen Erkenntnisprozess beschreibt, den sztreitende Parteien durchlaufen mü+ssen, um zu einem Konsens zu finden. Diese Sicht auf die Mediation erlaubt es sie auch in anderen Kontexten herzustellen.
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