Es gibt eine Möglichkeit, den Menschen in der Ukraine im Krieg zu helfen, ohne Waffen zu liefern. Der folgende Bericht von Tetiana Bilyk aus Kyiv von der Liga der Mediatoren der Ukraine und Mitglied im Verein integrierte Mediation e.V. beschreibt die dramatische Situation im Land und das aufopfernde Bemühen der dortigen Mediatorinnen und Mediatoren, das Leid der Menschen zu lindern. Es geht darum, diese wertvolle Arbeit zu unterstützen.

Arthur Trossen

Familienmediation während des Krieges

Seit Februar 2022 leben ukrainische Familien im Ausnahmezustand. Alle, die konnten, haben das Land bereits verlassen oder suchen nach Möglichkeiten, dies zu tun. Dies führt zu einem signifikanten Anstieg der Anzahl von Familienkonflikten. In den letzten zwei Jahren hat sich die Zahl der Scheidungsverfahren mehrmals erhöht, auch die Zahl der Männer und Frauen, die im Krieg eingebunden sind, steigt täglich. Derzeit verteidigen unzählige ukrainische Militärangehörige unser Land. Nach der groß angelegten Invasion ist es schwierig, noch einen Ukrainer zu finden, der sich nicht zumindest gestresst fühlt über das, was passiert.

Heute sind alle Bewohner der Ukraine in irgendeiner Weise traumatisiert – körperlich oder geistig. Gleichzeitig erleben Militärangehörige täglichen Druck auf ihre körperliche und geistige Gesundheit. Sie stehen im Zentrum des Krieges, sehen seine Schrecken und sind enormem Stress ausgesetzt. Mentale Probleme sind viel schwieriger zu erkennen als physische. Daher können selbst die ihnen am nächsten Stehenden die Bedürfnisse von Veteranen nicht verstehen und ihnen nicht die notwendige emotionale Unterstützung bieten, was wiederum zu Eskalation von Familienkonflikten und zum Zerbrechen von Beziehungen führt. Es gibt viele verschiedene Auswirkungen der Traumata, einschließlich der sozialen Konsequenzen. Neben Konflikten mit anderen gibt es auch eine wachsende Unfähigkeit zur Zusammenarbeit, mangelnde Flexibilität, Ungeduld, schlechte oder ineffektive Kommunikation und das Beschuldigen anderer. Als Ergebnis von Scheidungsverfahren verlieren 30% der Kinder den Kontakt zum Elternteil, bei dem sie nicht mehr leben. Die Stimme des Kindes geht auch in einem elterlichen Konflikt verloren. Je länger und intensiver der elterliche Konflikt ist, desto schwerwiegender ist das psychologische Trauma, das auch das Kind erleidet. Die Folge sind psychische Störungen, Drogen- und Alkoholkonsum bis hin zu gesteigerter Kriminalität und Schwierigkeiten beim Aufbau von Beziehungen zu Gleichaltrigen. Indem wir Eltern dabei helfen, familiäre Konflikte friedlich zu lösen, ergeben sich positive langfristige Auswirkungen. Es gibt klare Verbesserungen in der mentalen Gesundheit, im Verhalten und in der schulischen Leistung der Kinder.

Diese positiven Ergebnisse kommen nicht nur Einzelpersonen, sondern der Gesellschaft als Ganzes zugute. Die NGO „Liga der Mediatoren der Ukraine“ (LiMU) wurde im Dezember 2017 gegründet, um die Familienmediation in der Ukraine als friedlichen Weg zur Konfliktlösung zu entwickeln und zu fördern. Heute vereint und koordiniert LiMU die Arbeit von mehr als 50 Familienmediatoren im ganzen Land und bietet in Zusammenarbeit mit den Sozialdiensten des Landes einen sozialen Familienmediationsdienst für alle Familien an, die Hilfe und Unterstützung benötigen. Seit Beginn des Krieges haben die Familienmediatoren von LiMU das Projekt „Familienmediation während des Krieges“ gestartet, um ukrainischen Familien, deren Mitglieder vom Krieg betroffen sind, kostenlose grenzüberschreitende Online-Familienmediationsdienste anzubieten.

Die Mediatoren ergreifen alle möglichen Maßnahmen, um Eltern auch in grenzüberschreitenden familiären Streitigkeiten, die die Interessen der Kinder beeinträchtigen, zu einer einvernehmlichen Lösung des Konflikts zu ermutigen. Die Unterstützung einer verhandelten Lösung umstrittener Fragen ist insbesondere bei Familienkonflikten, an denen Kinder beteiligt sind, und bei denen streitende Eltern typischerweise ständig miteinander interagieren müssen, um die Rechte der Kinder zu gewährleisten, hilfreich.

Die Hauptschwierigkeiten, denen der Mediator bei solchen Krisenmediationen gegenübersteht, hängen mit der Verletzlichkeit und Sensibilität der Konfliktparteien, dem raschen Kontrollverlust über Wut, Ängstlichkeit und hohen Misstrauensniveaus, dem Verlust der Konzentration und einem deutlichen Rückgang kognitiver Fähigkeiten und infolgedessen einer erhöhten Hilflosigkeit zusammen. Angesichts der Tatsache, dass Priorisierung, Entscheidungsfindung und situatives Verständnis in einem Teil des Gehirns stattfinden, der bei Stress ausgeschaltet wird, wird die Arbeit des Mediators noch schwieriger. In der Krisenmediation lenkt der Mediator seine Arbeit auf die Emotionen der Konfliktparteien, um die Aktivität des limbischen Systems, die mentale Stimulation und die kognitiven Fähigkeiten zu verringern, um so die Resilienz zu steigern und das Gefühl der Hilflosigkeit zu verringern. Die Möglichkeit zur Generierung kurzfristiger Lösungen zur Erfüllung der Bedürfnisse im „Hier und Jetzt“ wird hergestellt.

Der krisenzentrierte Ansatz zur Arbeit von Familienmediatoren basiert auf dem Verständnis der Folgen von Traumata und dem Umgang mit ihnen. Er betont die physische, psychische und emotionale Sicherheit sowohl des Mediators als auch der konflikthaften Parteien und schafft auch Möglichkeiten für Opfer, ein Gefühl der Kontrolle und des Selbstvertrauens wiederherzustellen, um Konfliktsituationen unter Berücksichtigung der Interessen aller Familienmitglieder, einschließlich der Kinder zu lösen.

Der Ansatz der integrierten Mediation zeigt die Möglichkeit, wie die Mediation selbst bei hoch eskalierten Konflikten mit häuslicher Gewalt und sogar vor dem Hintergrund des Krieges zurechtkommen kann. Wirerkennen wir den Wert und die Notwendigkeit einer Schulung in integrierter Mediation und gerne auch weiterer Unterstützung bei unserer Arbeit. Wir möchten so viel Wissen und Werkzeuge wie möglich bekommen, damit wir die Effizienz der ukrainischen Familienmediatoren noch weiter verbessern können.

Tetiana Bilyk, Ukrainian family mediator
01st of May 2024, Kyiv, Ukraine

Spenden helfen uns. Sie werden erbeten an:

Tetiana Bilyk
Santander Bank, Spain
Account (IBAN) ES70 0049 2613 72 2215450767
Currency: EUR
SWIFT: BSCHESMM