Beispiel für eine (nicht) angewandte (IM) Mediation
Es ist schon eine Krux mit dem präzisen Zuhören. Obwohl es zum Verstehen beitragen soll, verursacht es Unverständnis. Ein Beispiel ist die Diskussion um den Syrien-Krieg. Ich nehme Bezug auf einen Artikel im Spiegel und zeige, wie ein Mediator den Obersatz versteht – nämlich gar nicht.
Der Syrien-Konflikt stürzt die US-Regierung in ein tiefes Dilemma: Nur ein Militärschlag kann ihre Glaubwürdigkeit retten. Doch Experten warnen vor der Reaktion des Assad-Regimes. Der Despot könnte erneut Chemiewaffen einsetzen, die USA wären endgültig blamiert.
So lautet der Obersatz des Artikels. Ein Mediator hört das Folgende:
- In Verbindung mit der Schlagzeile entsteht der Eindruck, dass der Fluch des Krieges ein Fluch für die USA ist nicht für die Menschen, die dabei umkommen.Hält der Mediator dies vor, dann wird es wohl zu Relativierungen kommen: “Nein natürlich geht es um mehr, um die Menschen und die Menschenrechte”. Der Mediator wird dies mal so stehen lassen. Er weiß, er kommt später noch darauf zu sprechen.
- Wenn der Syrien-Konflikt die USA in ein tiefes Dilemma stürzt, kommt zu dem Syrienkonflikt noch ein USA Konflikt hinzu. In dem hier beschriebenen Kontext ist es also besser den USA Konflikt zu thematisieren. In der vom Mediator erstellten Konfliktlandkarte tauchen also mehrere Konflikte auf. Konzentriert man sich auf den USA Konflikt, dann geht es wohl um Reputation und Macht. In der Konfliktlandkarte würde dies als ein innerer Konflikt verstanden werden, der gegebenenfalls zuerst zu klären ist. Dieser Konflikt ist den Dimensionen Beziehung und Identität zuzuordnen. Beides wäre in der Interessenerhellung zu thematisieren.
- Der Satz “Nur ein Militärschlag kann ihre Glaubwürdigkeit retten” benennt schon die Lösung des Problems, nämlich den Militärschlag. Das wird der Mediator einmal zurückstellen, weil er vor der Lösungsdiskussion die Interessen erhellt. Ein Mediator geht davon aus (unterstellt zunächst), dass es da sicherlich auch andere Wege gibt, die Glaubwürdigkeit herzustellen. Bevor er sich daran gibt überhaupt darüber nachzudenken, klärt er die Interessen. Er weiß, da sind andere Interessen im Spiel, denn mit dem Militärschlag werden andere Werte in Frage gestellt, was sich wieder auf die Glaubwürdigkeit auswirkt.
- Der Satz “Nur ein Militärschlag kann ihre Glaubwürdigkeit retten” benennt das Interesse. Hier wird der Mediator zunächst versuchen zu verstehen, was Glaubwürdigkeit überhaupt ist und worauf sie sich bezieht und wozu man das braucht. Jetzt wird es spannend. Möglicherweise kommt heraus, dass die USA als Polizisten der Welt gesehen werden möchten. Damit verändert sich der Rahmen und die Fragestellung. Geht es um Macht? Bedeutet es einen Machtverlust oder gar einen Machtgewinn wenn kein Militärschlag geführt wird, wird der Mediator jetzt fragen. Je nachdem wird er fragen: Bedeutet Macht nicht auch auf die Machtausübung verzichten zu können? Ist es nicht umgekehrt eine Ohnmacht, wenn der Mächtige sich gezwungen fühlt und für ihn keine andere Alternative mehr gegeben ist?
- Ein Mediator weiß auch, dass Glaubwürdigkeit nicht das einzige Interesse ist. Wenn sie mit der Reputation einher geht, dann spielen auch andere Werte eine Rolle. Hier kommen beispielsweise die Menschenrechte ins Spiel. Nun fragt der Mediator, wie es damit bestellt ist, wenn ein Militärschlag geführt wird, bei dem ja auch Menschen ums Leben kommen. Als Mensch frage ich mich, was mir lieber ist durch Gas zu sterben oder durch eine Bombardierung. Da habe ich aber keine Erfahrung, weil ich als Mensch in einer angeblich freien Welt eigentlich davon ausgehe, dass die Bestimmung über mein Leben mir obliegt und keinem Regime. Die Frage stellt sich also gar nicht. Aber das kann man sicherlich auch anders sehen, besonders wenn man den Lehren Machiavellis folgt.
- Spannend wäre auch die Frage: “Angenommen, der Militärschlag verläuft erfolgreich, haben Sie dann das was Sie sich wünschen erreicht?”. jetzt wäre zu erörtern, was denn überhaupt Erfolg des Militärschlages bedeutet. Ist es ein Beitrag zum Weltfrieden oder riskiert er diesen nicht eher?
- Geht es nur darum eine Blamage zu vermeiden? Der Satz: “Der Despot könnte erneut Chemiewaffen einsetzen, die USA wären endgültig blamiert” zeigt, dass die USA schon blamiert ist (wenigstens aus der Sicht des Reporters). Was bewirkt eine endgültige Blamage, dass die USA nicht mehr ernst genommen werden? Ist ein Militärschlag geeignet, ernst genommen zu werden? Könnte es nicht sein, dass man auch dann ernst genommen wird, wenn man mit solch diffizilen Fragen behutsam umgeht und die Serie nach Vietnam und Irak unterbricht?
- Nachdem der Mediator alle Interessen geklärt hat, und am Besten nachdem auch andere Lösungen gefunden sind, wird er – falls das überhaupt noch zur Debatte steht – fragen, ob der Militärschlag wirklich die Lösung des Problems darstellt. Dass dem so sei, ist zunächst eine Meinung. Die Fakten, die diese Meinung ergeben, sind unklar. Im vorliegenden Fall werden nicht einmal die Fakten einheitlich beurteilt. Was sind eigentlich die Fakten, fragt der Mediator jetzt. Dabei unterscheidet er sorgfältig zwischen Fakten und Meinungen, die lediglich Schlussfolgerungen und Behauptungen darstellen. Nach meinem beschränkten Wissen, basiert die Erkenntnis eines Giftwaffenmissbrauchs durch die Regierung in Syrien auf Indizien. Hier lautet die Frage, genügen die Indizien, um so ein großes Risiko und gar einen weiteren Krieg anzuzetteln?
- Selbst wann man diese Frage bejaht landet die Mediation nach alledem in einer Wertefrage. Sie wird üblicherweise nach der Sammlung von Lösungen untersucht. Hier stehen Werte in Kollision. Im vorliegenden Fall stellen wir jedoch fest, dass kein Konsens über die Werte-Fragen besteht. Schon die Frage um welche Werte es geht ist streitig. Auch die Fakten werden uneinheitlich beurteilt.
- Nachdem die Interessen geklärt sind und die streitigen Punkte herausgearbeitet wurden, kommt der Mediator zu der naiven Frage: “Wer entscheidet überhaupt darüber was Menschenrechte sind und was passiert, wenn diese verletzt werden oder streitig sind?” Da gibt es wahrscheinlich eine juristische Antwort.
Diese Darlegung soll nur einen Eindruck widerspiegeln, wie wir Menschen mit Informationen umgehen. Die Wortwahl gibt den nächsten Eindruck, wenn von einem Militärschlag statt von einem Krieg die Rede ist. Ich kann mir vorstellen, dass diese Wortwahl bereits nicht einheitlich bewertet wird. Ein IM Mediator wird das Problem in Dimensionen einteilen (siehe präzises Zuhören). Da sind (auf den ersten Blick) folgende Dimensionen zu unterscheiden:
- Emotionen
- Fakten
- Meinungen
- Identität USA, Selbstverständnis
- Rolle der USA in der Welt
- Beziehung zu anderen Staaten
- Selbst und Fremdsicht USA
- Menschenrechte
- Macht
- Politische Ziele
- Finanzen
- usw.
Der IM Mediator wird konzentriert zuhören und die Aussagen in diese Dimensionen kategorisieren, um sie dann in jeder Dimension zu einer Lösung / Entscheidung zu überführen. Dabei darf es Widersprüche innerhalb und zwischen den Dimensionen geben. Diese werden dann in einem weiteren Schritt aufgelöst. Jetzt zeigt es sich, ob alle Fragen beachtet wurden und ob die Problematik in ihrer ganzen Komplexität bedacht wurde. Ich habe Zweifel, dass dem so ist.
Das eingangs erwähnte Unverständnis entsteht über die offenen und ungeklärten Fragen und die Tatsache, dass dennoch über Lösungen diskutiert wird. Man sollte besser über die Interessen (Motive) sprechen. Das ist erhellender und führt zu anderen Lösungen – aber auch zu Offenbarungen. Eins steht fest, die USA sind alles andere als ein Mediator. Insofern ist der Beitrag ein Beispiel für eine nicht angewandte Mediation. Die Andeutungen wie man (ein IM Mediator) mit Informationen umgehen kann, ist ein Beispiel für eine angewandte Mediation. Es belegt, dass die Mediation im Kopf statt findet, nicht nur in einem so deklarierten Verfahren. Vielleicht könnten die Journalisten in die Mediatorenrolle schlüpfen, indem sie offen legen, welche Fragen ungeklärt sind. Ein IM Mediator, der als Diskussionspartner oder sonst Beteiligter auftritt, wird den Erkenntnis- und den Meinungsbildungsprozess nicht weiterführen, ehe die Fragen alle geklärt sind. Er wird sich dabei an das Schema der Mediation halten. Dann sähe die Schlagzeile wie folgt aus: “Kriegsdebatte trotz ungeklärter Fragen und hohem, nicht einschätzbarem Ausgang”. Wie sieht es jetzt aus mit der Reputation und der Glaubwürdigkeit?
(c) Foto: By Debra Sweet (No war on syria Uploaded by High Contrast) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Brilliante Analyse – ein Lehrstück! Es zeigt messerscharf, dass es im öffentlichen Bereich nie um DEN (vermeintlich offenkundigen) Konflikt geht, sondern um ein Geflecht verschiedener Konflikte, die obendrein auch noch subjektiv sind.
Und wenn das so ist, dann bräuchten die Welt(-politik ) und vor allem der Journalismus mehr (IM-)MediatorInnen – denn so entlarvt man Propaganda!