Eine Forschung belegt, dass Gerichtsurteile auch dann, wenn sie negativ ausfallen, von den Parteien besser akzeptiert werden, wenn die Parteien das Gefühl haben, der Richter hat ihnen zugehört und sich mit ihren Argumenten auseinandergesetzt.
Kommunikation
Die Fähigkeit des Zuhörens wird in der Gesprächstherapie als aktives, absichtsloses Zuhören gelehrt. Es wurde mit dem Wissen über Wahrnehmung und Kommunikation in die Mediation übernommen. Hier wird das aktive Zuhören mit den Techniken des Loopens, des Paraphrasierens und des Verbalisierens verwendet. Im Gerichtsverfahren angewendet, bewirkt die verbesserte Kommunikation eine Deeskalation des Konfliktes und eine gesteigerte Akzeptanz gegenüber der eventuell zu erlassenden Entscheidung. Erste Entlastungen sind spürbar.
Mediation
Die Mediation bewirkt eine noch weitergehende Entlastung. Wird sie alternativ gewählt, vermeidet sie den Prozess von vorne herein. Gelingt es, ein Verfahren in die Mediation abzugeben, verkürzt sie den Prozess und reduziert den justizseitigen Arbeitsaufwand. Trotz des alternativen Angebotes sind die meisten Verfahren noch immer vor Gericht anhängig. Dabei wären sie für die Mediation gut geeignet. Sie zeichnen sich weniger durch die anstehenden Rechtsfragen als durch den zugrunde liegenden Beziehungs- oder Interessenkonflikt. Es ist wichtig, dass die Parteien auch hier in den Genuss deeskalierender Interventionen kommen. Um diese „Versorgungslücke„ zu schließen, bedarf es allerdings mehr als „nur“ einer verbesserten Kommunikation im Gericht oder eines Mediationsangebotes.
Integrierte Mediation
Die integrierte Mediation versucht schon im (hoch-)streitigen Verfahren, Wege in einen Konsens zu ermöglichen. Sie hält den Konsens im Gerichtsverfahren nicht nur für möglich. Sie erkennt auch die damit einhergehende Entlastung der Justiz. Ein Konsens belegt die Nachhaltigkeit, Zufriedenheit und Akzeptanz der gefundenen Regelung. Sein Nutzen ist aber noch größer, denn er veranlasst die Parteien, vermehrt eigene Ressourcen zur Konfliktlösung einsetzen. Je mehr es gelingt, dass die Parteien die Eigenverantwortung für sich übernehmen, desto geringer wird der Bedarf nach einer Fremdregulierung. Der Richter trägt also selbst zu seiner Entlastung bei, wenn er autonome Verhandlungen zwischen den Parteien ermöglicht. Im Grunde verfolgt er jetzt das gleiche Ziel wie der Mediator. Im Gegensatz zu diesem verfügt er über erweiterte Handlungsoptionen. Der mediative Richter weiß, dass ein Konsens nur zustande kommen kann, wenn die Parteien freiwillig, eigenverantwortlich, offen und informiert verhandeln. Er wird deshalb Schritt für Schritt dazu beitragen, diese Voraussetzungen herzustellen. Er erkennt die dem Konsens der Parteien im Wege stehenden Hindernisse und hilft, diese aus dem Weg zu räumen. Die Anleitung dazu findet er in der Phasenlogik der Mediation verborgen. Sie beschreibt die denknotwendigen Schritte, die jedem Konsens vorausgehen. Sie strukturiert die Verarbeitung von Zielen (Erwartungen), Positionen (Themen), Interessen und Lösungen. Die Umsetzung der Phasen beginnt schon im schriftlichen Verfahren. Die so genannte Fairnessverfügung liefert ein Beispiel dafür, wie die Zielabstimmung mit einer Aktenverfügung initialisiert werden kann. Wie in der Mediation organisiert der Richter den weiteren Verlauf der Kommunikation. Er weiß, dass die formale juristische Kommunikation den hinter den Ansprüchen verborgenen Konflikt verdeckt. Er erkennt die Ursache der zu Verfahrensverzögerungen, Unterbrechungen und Erschwernissen führenden Störungen in den zum Konflikt stehenden Interessen und Emotionen der Parteien. Der mediative Richter kann sich auf die Konflikte einlassen. Anstatt die Interessen und Emotionen der Parteien zu unterdrücken, eröffnet er einen Gesprächsrahmen, in welchem die Parteien eine Gelegenheit erhalten, ihre Interessen und Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Den daraus resultierenden Kommunikationsbedarf mag der mediative Richter in der mündlichen Verhandlung oder in einer Güteverhandlung abbilden. Gegebenenfalls kann er sich hierfür auch arbeitsteilig vernetzen. In jedem Fall führt die Bereitstellung eines informellen Kommunikationsrahmens zu einer Befreiung der formal juristischen Auseinandersetzung von unnötigem Ballast. Die juristische Kommunikation kann jetzt knapp und sachlich gehalten werden. Der Schriftaustausch wird auf ein Minimum reduziert. In der mündlichen Verhandlung wird der Richter die eventuell fehlenden Elemente der Phasen 1 und 2 der Mediation nachholen. Er hinterfragt die Erwartungen der Parteien und den langfristigen Nutzen des Verfahrens. Durch die Anwendung von Gesprächstechniken können die Parteien mehr und mehr den Gewinn der „verstehenden Kommunikation“ erkennen. Sie fühlen sich zur Teilnahme motiviert. Während des weiteren Verlaufs der Verhandlung wird sich der Richter mehr und mehr dem Kommunikationsmuster der Mediation annähern. Dort ist ein Entscheider nicht vorgesehen. Der Richter nimmt deshalb die Rolle eines Moderators an und steht nicht weiter als Empfänger von Argumenten zur Verfügung. Sein Interesse gilt dem Verständnis der Parteien und ihrer Lage. Die Art und Weise der Gesprächsführung lässt die Parteien zunächst auf sich selbst konzentrieren. Der Richter wendet die Window I (Verständnis der eigenen Interessenlage) und die Window II (Verständnis der gegnerischen Interessenlage) Methode an. Natürlich müssen die Parteien wissen, inwieweit die Offenheit des Gesprächs für sie ein Risiko bedeutet. Der Umfang an Vertraulichkeit muss also klargestellt werden. Auch wenn sich die Parteien auf die notwendige Offenheit vor Gericht nicht vereinbaren können, haben sie doch ein mediatives Verfahren erlebt. Sie können es sich jetzt leichter vorstellen, dieses Verfahren auch mit einem externen Mediator fortzuführen. Wenn es der Richter ist, der das Verfahren weiterführt, vollzieht er die verbleibenden Phasen der Mediation. Das bedeutet, die Verhandlung über Lösungen wird so lange zurückgestellt, bis genügend Informationen vorliegen, um daraus Verhandlungsangebote zu entwickeln. Die kooperative Verhandlungsführung wird durch ein kommunikatives Setting und die Einnahme einer mediativen Haltung unterstützt.
Was ist anders?
So wie das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile ist die integrierte Mediation eine identifizierbare Verfahrensweise, welche die Kompetenzen der Mediation ebenso wie die des zugrunde liegenden Gerichtsverfahrens vereinnahmt. Sie prägt das Gerichtsverfahren, indem sie den Parteien eine aktive Unterstützung auf dem Weg zu einer konstruktiven Konfliktlösung anbietet. Der Richter nutzt die Komponenten der Mediation, um den Blick auf einen Konsens zu öffnen. Aus der Sicht des Gerichtsverfahrens betreffen die Veränderungen: • Die Zielsetzung (Konsens ist möglich) • Das Setting (Zeitlicher Rahmen, Örtlichkeit) • Die Verhandlungsführung (Moderation) • Die Kommunikation (verstehen, klären, vermitteln) • Den Ablauf (Phasenlogik, Strukturierung) • Die Organisation (Fenster für informelle Kommunikation) • Die Themenstellung (Interessen werden einbezogen) Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften, wie der Richter die Kommunikation zu führen hat. Er kann deshalb auf Grund seines Schlichtungsauftrages und in Abstimmung mit den Verfahrensbeteiligten wie beschrieben verfahren. Einer Gesetzesänderung bedarf es dazu nicht.
Warum integrierte Mediation?
Das Gerichtsverfahren gestaltet sich konventionell als ein so genanntes Nullsummenspiel. Ein Nullsummenspiel verfolgt das Ziel, eine fremdbestimmte Entscheidung herbeizuführen. Das vorgestellte Ergebnis impliziert die Erwartung, dass die angestrebte Entscheidung einen Vorteil gegenüber dem Gegner verschafft. Mediation ist demgegenüber das Verhandeln mit dem Ziel eines selbstverantworteten Konsenses und der Erwartung dass dieser Konsens nach einer Konfliktklärung zu realisieren ist. Das Gerichtsverfahren eignet sich besser, wenn es darum geht, eine Lösung (Anspruch) durchzusetzen. Die Mediation eignet sich besser, wenn es darum geht, nach Lösungen zu suchen. In der Realität wechseln die Anforderungen zur Herbeiführung einer Lösung entsprechend dem Konfliktverlauf. Manchmal steht die Durchsetzung einer Lösung im Vordergrund, manchmal ist es die Suche nach einer Lösung. In diesem Potenzial an Möglichkeiten bietet das Gerichtsverfahren die einzige Streitplattform, in der beide Verfahrensweisen, die Konfrontation und die Kooperation, angeboten werden können. Traditionell wurde die durchsetzende Kompetenz des Gerichtsverfahrens professionalisiert. Mehr und mehr wendet sich die Justiz aber auch den kooperativen Optionen des Gerichtsverfahrens zu. Es ist insoweit nur konsequent, dass die Justiz aktiv dazu beiträgt, einen Zugang zur Mediation zu ermöglichen. Verschiedene Modellprojekte haben gezeigt, dass ein Angebot zur gerichtsnahen Mediation von den Parteien nur bedingt akzeptiert wird. Bessere Erfolge verzeichnet die gerichtsinterne Mediation. In diesem Modell könnte es sich jedoch als kontraproduktiv erweisen, dass die Justiz selbst die Durchführung einer „reinen“ Mediation ohne eine zusätzliche Vergütung anbietet. Normalerweise erhöht ein derart konkurrenzlos günstiges Angebot die Nachfrage. Für die Justiz kommt es darauf an, ein gutes Produkt bei einer verringerten Nachfrage anzubieten. Ein Ziel, das strategisch zu erreichen ist, indem Zugänge in eine (externe) Mediation gewiesen und die Parteien zur Eigenverantwortung angehalten werden. Die integrierte Mediation greift dieses Ziel auf. Sie hat erkannt, dass der beste Zugang zur Mediation in jedem einzelnen Gerichtsverfahren selbst zu finden ist. Was ist der Nutzen? Die Einführung der integrierten Mediation deckt eine Angebotslücke und den Bedarf nach einer flexiblen, dem Konflikt angepassten Vorgehensweise. Den Nutzen erfahren die Parteien, die Rechtsanwälte, die Richter und die Justiz. – 6 – • Parteien Schon die verbesserte Kommunikationskultur erreicht mehr Akzeptanz und Zufriedenheit. Die Parteien profitieren von den Initiativen zur Deeskalation seitens des Gerichts und von einer besseren Erreichbarkeit dieser konstruktiven Streitkultur. Sie gewinnen eine Erfahrung zur Mediation, ohne dass sie zu diesem Zweck das Verfahren wechseln müssen. • Rechtsanwälte Von der Deeskalation profitieren auch die Anwälte. Ihr Schreib- und Argumentationsaufwand wird drastisch reduziert. Die gesteigerte Zufriedenheit der Parteien wird als ein Erfolg des Anwaltes verbucht. • Richter Die Kenntnisse der (integrierten) Mediation helfen dem Richter, Chancen auf eine Deeskalation wahrzunehmen und gezielt zu initialisieren. Die Rückgabe der Konfliktverantwortung besorgt eine psychologische Entlastung des Richters und eine gesteigerte Arbeitszufriedenheit. Durch die Verlagerung des Schwerpunktes auf die mündliche Verhandlung muss zunächst zwar ein erhöhter Verhandlungsaufwand in Kauf genommen werden. Er amortisiert sich jedoch kurzfristig durch die Einsparungen, die sich aus der nicht (mehr) benötigten Entscheidung ergeben. Mittel- und langfristig trägt die wiederkehrende Anwendung (Übung) zusätzlich dazu bei, die ungewohnte Kommunikation gezielt und geläufig einzusetzen. • Mediatoren (freier Markt) Der Zeitfaktor ist die größte Herausforderung für den mediierenden Richter. Es wird Verfahren geben, in denen er den Weg zum Konsens zwar bereiten, nicht aber bis zum Ende begleiten kann. Die jederzeitige Möglichkeit, das Verfahren im Einvernehmen mit den Parteien an eine externe Mediation zu verweisen, bietet für ihn einen Ausweg. Anders als die gerichtsinterne Mediation wird hier kein Wettbewerbsprodukt – 7 – angeboten aber eine Wegbereitung in eine, sich ergänzende, Zusammenarbeit mit Mediatoren. Die Ausübung der Mediation im Gericht und die Vernetzung wirken wie ein Katalysator auf die Verbreitung der Mediation • Justiz Die Entlastung des Richters bedeutet zugleich eine Entlastung der Justiz. Einsparungseffekte durchdringen hier alle Arbeitsbereiche bis hin zur Entlastung des Schreibdienstes. Durch seine Ausbildung in (integrierter) Mediation kann sich der Richter mit der Idee der Mediation identifizieren und sie besser nach außen vertreten. Zu erwarten ist deshalb auch eine Steigerung der Bereitschaft und Fähigkeit zur Abgabe der Verfahren. Wie erfolgt die Umsetzung? Insgesamt sollte der Richter alle Elemente der Mediation (Konzept, Phasen, Methoden, Techniken, Strategien) beherrschen, um sie in sein Verfahren an bereiter Position entlastend einbeziehen zu können. Die Implementierung der (integrierten) Mediation bedeutet zugleich eine generelle Öffnung für alle Varianten der Mediation. Sie kann in Stufen erfolgen: 1. Information 2. Ausbildung (Grundausbildung) Oft ist zu beobachten, dass sich ausgebildete Mediatoren damit schwer tun, ihre Kompetenzen unter den erschwerten Bedingungen einer gerichtlichen Konfrontation anzuwenden. Das hängt damit zusammen, dass die normale Mediationsausbildung darauf aufbaut, dass die Mediation als ein isoliertes Verfahren durchzuführen ist. Weil diese Arbeitsbedingungen von denen des Gerichts differieren, sollte der Richter zusätzlich noch lernen, wie er die Mediation auch unter den erschwerten Bedingungen eines Gerichtsverfahrens anwendet. Die Ausbildung zur integrierten Mediation umfasst beide Fälle, die Durchführung einer isolier- 8 – ten Mediation und die Anwendung mediativer Komponenten unter den Bedingungen eines konfrontativen Verfahrens. 3. Anwendung (Förderung) Es ist davon auszugehen, dass die (integrierte) Mediation ein Handwerk ist, das grundsätzlich von jedermann zu erlernen ist. Trotzdem wird es Richter geben, die mit dieser Art der Konfliktklärung nicht gut zu Recht kommen. Bei der integrierten Mediation entscheidet grundsätzlich jeder Richter wie viel Kommunikationsanteile er selbst einbringt. Da er weiß, welche Art der Kommunikation wie möglich ist, kann er fehlende Komponenten im Rahmen einer Vernetzung abzurufen, indem er z.B. mit dem Jugendamt zusammenarbeitet und ihnen die nicht sachbezogene Kommunikation überlässt. Wie dies geschieht lernt er bei der Organisation informeller Kommunikationsfelder. 4. Übung (Supervision, Erfahrungsaustausch) 5. Vernetzung 6. Qualitätsmanagement Arthur Trossen
Hinterlassen Sie einen Kommentar
Sie müssen angemeldet sein um einen Kommentar zu schreiben.