Gerechtigkeit ist nicht mehr als ein Gefühl
Das deutsche Scheidungsrecht ist von einem ausgeklügelten Halbteilungsgrundsatz dominiert. Wenn man also nach der Scheidung nur noch die Hälfte hat von dem, was man in der Ehezeit erwirtschaftet oder angeschafft hat, wäre zumindest aus juristischer Sicht die Gerechtigkeit hergestellt.
Wirtschaftlich und emotional betrachtet kann die “gerechte” Halbteilung aber auch zu einer ungerechten, weil unleichgewichtigen Verteilung führen. Etwa wenn der eine Ehegatte sich unberechtigt verlassen fühlt. Emotional sieht er in dem Verhalten des verladenden Ehegatten einen Vertragsbruch. Juristisch wird dieser Vorwurf nicht aufgefangen.
Im Internet macht ein geschiedener Mann auf sich aufmerksam, der wohl ein Gerichtsurteil etwas zu wörtlich genommen hat. Es ist nicht ganz nachvollziehbar, wie die gerichtliche Entscheidung gelautet haben mag, wenn dieser Mensch den Hausrat Stück für Stück in Hälften zerlegt. Zutreffend ist jedoch, dass die Scheidung dem Halbteilungsgrundsatz unterliegt, dem der Ehemann nur allzu wörtlich gefolgt war.
Das Beispiel zeigt zwar die Wut des Ehemannes über die empfundene Ungerechtigkeit. Juristisch spielt die im Verlassen liegende emotionale Ungerechtigkeit jedoch keine Rolle. Keineswegs hat das Verhalten des Ehemannes auch den Rechtsanspruch der Ehefrau erledigt. Von Befriedigung kann also keine Rede sein.
Faktisch hat jetzt niemand mehr etwas. Die mutwillige Zerstörung hat (wenn sie denn wirklich stattgefunden hat und nicht nur ein symbolischer Ausdruck der empfundenen Ungerechtigkeit oder gar ein Appell an die Ehefrau sein sollte) nicht nur zur Wertlosigkeit der Gegenstände geführt, sondern auch die gerichtlich geforderte Herausgabe unmöglich gemacht, so dass der Anspruch der Ehefrau als sogenannter Sekundäranspruch (Schadensersatz) weiter besteht. Jetzt kann der trotzige Ehemann Geld aufwenden, um für sich einen neuen Hausrat anzuschaffen und den Schaden seiner Ehefrau zu ersetzen. Wie steht es jetzt um die Befriedigung?
Wenn die Vorgehensweise eine Genugtuung bewirken sollte, dann war es ein teuer bezahltes Gefühl. Wahrscheinlich spricht die Aktion vielen emotional zurückgelassenen Eheleuten aus dem Herzen. Ja, Gerechtigkeit ist (nur) ein Gefühl. Es mag sein, dass der Ehemann für sich jetzt das Gefühl von Gerechtigkeit hergestellt hat. Dann ist es aber nur von kurzer Dauer, denn sein Vorgehen wird Konsequenzen haben.
Auch wenn man auf dem Video sieht, wie der Mann sein iPhone zersägt, fragt es sich, wie er die anderen Halteteilungen ohne Photoshop real verwirklichen konnte. Was den Fall so real macht ist seine emotionale Nachvollziehbarkeit. Es geschieht oft bei Trennungen, dass sie von der verlassenen Partei wie die unberechtigte Kündigung eines Lebenszeitvertrages angesehen wird. Die Aktion des Ehemannes deutet auf die emotionale Lage hin. Gemessen an dem von Trennung und Scheidung ausgelösten Suizidrisiko war die wörtlich genommene Halbteilung des Ehemannes noch recht verhalten. Wieder andere beißen in den sauren Apfel und schaffen auf ihre Weise Fakten, die der emotionalen Lage entsprechen und zumindest vordergründig zur Entlastung führen. Nicht selten geraten auch Kinder in das Fahrwasser und werden von den Eltern meist unbewusst missbraucht, um deren emotionale Lage auszubalancieren.
Fest steht, dass das Gericht ein emotionales Ungleichgewicht mit dem Recht alleine nicht aufwiegen kann. Dazu müsste das Gesetz emotionale Tatbestandsmerkmale einführen. Das juristische Verständnis von Gerechtigkeit reduziert die komplexen Lebenssituationen auf die Fakten und die Rechtslage, wobei als Fakten nur die vom Gesetz vorgesehenen Tatbestandsmerkmale gelten. Der Mensch findet nur einen Platz darin, wenn die Juristen mit den menschlichen Bedürfnissen adäquat umgehen können. Das würde es erfordern, nicht nur auf das zu achten, was das Gesetz vorgibt, sondern auch die menschlichen Bedürfnisse in Betracht zu ziehen, sie zu thematisieren und im Ausgleich zu berücksichtigen. Die Idee von Kautelarjuristen, man könne eine gerechte Teilung durch Eheverträge antizipieren, könnte ebenfalls daran scheitern, dass Eheleute die Lage bei Trennung anders bewerten als bei der Eheschließung. Emotionale Gerechtigkeit jedenfalls können die Eheleute nur selbe st herstellen, indem sie sich im wahrsten Sinne des Wortes wahrnehmen und auseinandersetzen. Die Mediation beschreibt, wie das möglich wird. Die integrierte Mediation beschreibt, wie das sogar in einem streitigen Gerichtsverfahren möglich wird.
Foto by pixelroiber on 2009-11-23 12:15:40
Lieber Arthur,
ich stimme Deinem Artikel voll und ganz zu, zumal ich derzeit mit ähnlich abstrusen Fällen als Pfleger beschäftigt, besser, genervt, werde und wurde. Davor warne ich nun schon seit 35 Jahren, also von Beginn meiner juristischen Tätigkeit an, damals als Anwalt. Jetzt natürlich erst recht. Die derzeitige Situation habe ich ziemlich genau vor 10 Jahren sehr konkret vorher gesagt.
Trotzdem wird die rechtzeitige, wirklich fachmännische Familienmediation konsequent ignoriert.
Damit sich wenigstens in meiner näheren Umgebung (nachdem die Sozialpädagogen der “christlichen” Organisationen an den “psychologischen” Beratungsstellen – unter den etwa 20 Beraterinnen, kann ich nur noch eine einzige Psychologin ausmachen – , zwischenzeitlich jegliche Kooperation verweigern) etwas ändert, sowie deren Leitungen, und die staatlichen Geldgeber die Mediation in Familiensachen richtig einzuordnen wissen, und hoffentlich Konsquenzen daraus ziehen, habe ich extra einen Blog eingerichtet und in diesem nur einen Artikel geschrieben (Thema – Kosten – kommt die nächsten Tagen nach): http://www.blog.bohnet-mediation.de . Wenn die “Familienmediation” (b.z.w. was von den Beratungsstellen darunter verstanden wird) weiterhin lediglich ein Experimentierfeld psychologisch ambitionierter Sozialpädagogen, beschränkt auf ihre Bürostunden, bleibt, und das Wort “Konfliktklärung” etwas ist, worüber sie nicht einmal theoretisch (‘tschulligung) labern können, in der praktischen Situation somit völlig hilflos da stehen (ich konnte mich selbst viele Male davon überzeugen), ferner von der juristischen Seite keine Ahnung haben, und so den Trennungspaaren in keiner Weise helfen können, werden die von Dir beschriebenen abstrusen Situationen weiter zunehmen.
Wenn der Gesetzgeber nicht endlich die Familienmediation als Antragsvoraussetzung macht, und fähige Mediatore anständig bezahlt werden, wird immer mehr Schaden bei den Familien und im Geldbeutel des Staates angerichtet. So wird aus der Mediation, das einst als Weihnachtsfest und Jahrhundertwerk gefeiert wurde, eine Eintagsfliege werden.
Und Deutschland steht wieder einmal ganz, ganz alleine da. Aber WIR können uns das ja leisten.
Lieber Bernd,
ich kann Deinem Kommentar nur zustimmen: ich kenne einige Beratungsstellen, auch im Patientenberatungsbereich, die eigentlich nur zwei “Qualifikationen” haben: Betroffenheit und Subjektivität. Das findet man u.U. auch in anderen Organisationsstrukturen, wie Frauenhäusern oder Flüchtlingseinrichtungen. Es findet sich eine Schwarz-Weiß-Malerei, die keine Auseinandersetzung zulässt – damit allerdings auch keine Weiterentwicklung, sondern ein Verharren im Konflikt, oft noch mit Verstärkung. Und wehe dem, der das dann verlassen will – völliger Unterstützungsentzug bis hin zu Verunglimpfung ist nicht selten die Folge.
Das Ermöglichen einer Lösungsfindung ist nur im unabhängigen Kontext zu realisieren: idealerweise durch eine unabhängigen, entsprechend finanzierten Mediator, der ausserhalb des Konfliktes steht und keine Eigeninteressen, wie Erhalt einer Beratungsstelle, vertritt.